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Diabetesversorgung

Experten fordern enge Zusammenarbeit von Hausärzten und Spezialisten

Die Diabetesversorgung in Deutschland steht an einem Wendepunkt: Nur wenn sich Allgemein- und Fachmediziner stärker vernetzen und neue Möglichkeiten des individuellen Diabetes Managements konsequent nutzen, lassen sich künftig eine optimale Betreuung sicherstellen und Kosten für Begleit- und Folgeerkrankungen des Diabetes senken. Darin waren sich Ärzte und Wissenschaftler beim Diabetes Mediendialog von Roche Diagnostics Deutschland auf Schloss Hohenkammer einig. Einen Tag lang diskutierten sie über den Status quo der Diabetesversorgung, die Rolle des Hausarztes als Schlüsselperson sowie Herausforderungen und Lösungsansätze in der Zusammenarbeit zwischen Haus- und Facharzt.

Mannheim, im April 2011. Hausärzte betreuen 90 Prozent der circa 8 Mio. diagnostizierten Menschen mit Diabetes in Deutschland - und die Zahl der Patienten wächst jeden Tag.[1] Damit steigt auch der Druck auf die niedergelassenen Allgemeinmediziner, die ohnehin bereits mit knappen Ressourcen haushalten müssen. Schon heute bleibt jedem zweiten Hausarzt (53 Prozent) nur weniger als zehn Minuten Zeit für das Gespräch mit seinem Diabetespatienten, wie forsa im Auftrag von Roche Diagnostics Deutschland in einer Umfrage unter 200 Hausärzten ermittelte.

Daneben müssen die Mediziner enge Vorgaben und die Richtlinien des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherungen berücksichtigen. Wie sich die Diabetesversorgung in der Hausarztpraxis unter diesen Bedingungen künftig gestalten lässt, sodass Folge- und Begleiterkrankungen sowie eine unnötige Belastung des Gesundheitssystems vermieden werden, diskutierten Ärzte und Wissenschaftler beim Diabetes Mediendialog von Roche Diagnostics.

Steigende Diabetesfallzahlen, steigende Kosten

Den Handlungsdruck verdeutlichte Professor Dr. Hans Hauner, Ärztlicher Direktor des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin der TU München. In den vergangenen Jahrzehnten habe die Häufigkeit an Diabetes weltweit und vor allem in Deutschland stetig zugenommen. Die Folgen für das Gesundheitssystem sind enorm: Die diabetesbedingten Kosten nahmen zwischen 2000 und 2007 um rund 50 Prozent zu und liegen bei 19,1 Milliarden Euro pro Jahr.[2]

Den größten Anteil der Kosten bildet die Behandlung der Begleit- und Folgeerkrankungen. Um künftig alle Patienten adäquat und effizient behandeln zu können, ist für Hauner eine enge Zusammenarbeit entscheidend: "Integrierte Versorgung in der Diabetikerbetreuung ist notwendiger denn je." Denn durch eine stärkere Vernetzung zwischen Hausarzt, Fachkliniken und -ärzten, Diabetologen, Schulungseinrichtungen und Fußzentren können eine individualisierte Diabetestherapie ermöglicht und Kosten durch Doppelbehandlungen vermieden werden.

forsa-Umfrage belegt Optimierungsbedarf

Ein stärkere Vernetzung und klare Aufgabenverteilung forderte auch Dr. Jörg Simon, Facharzt für Innere Medizin, Diabetologie und Sportmedizin. Beim Hausarzt sieht er die Koordination der Betreuung und den Basischeck, beim Diabetologen die Spezialuntersuchungen. Mit Blick auf die Ergebnisse der forsa-Umfrage zeigte Simon Potentiale auf, die Hausarztpraxen nutzen können. Beispielsweise überprüft nur die Hälfte der befragten Hausärzte (52 Prozent) die Selbstkontrolltechnik ihrer Patienten immer oder häufig. Dabei können Tagesprofilmessungen als Schlüsselinstrument für eine bessere Stoffwechsel-Einstellung dienen.[3] Auch nutzen noch zu wenige Ärzte elektronische Auswertungssysteme, die einen schnellen und präzisen Überblick über den Blutzuckerverlauf bieten. Nicht einmal jeder Fünfte (18 Prozent) greift darauf zurück.

Praxisbericht: Diabetesversorgung ist Teamarbeit

Welche Rolle modernes Diabetes Management und die Praxisorganisation für eine optimale Versorgung spielen, stellte Peter Sagemüller vor, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und Diabetologie. Für ihn bieten sie die Voraussetzungen für eine individuelle und einfache Diabetestherapie. Er setzt in seiner Praxis auf Teamarbeit: Eine klare Aufgabenteilung zwischen ihm und seinen Mitarbeitern ermöglicht effizientes Arbeiten. Davon profitieren auch die Patienten. Diese geben etwa zur Quartalskontrolle ihr elektronisches Messgerät direkt an der Anmeldung ab. Während der Blutentnahme und Fußinspektion durch das Praxispersonal werden die Daten ausgelesen und liegen dem Arzt vor, wenn der Patient ins Sprechzimmer kommt. Er hat alle Informationen zur Hand, um über die weitere Behandlung zu entscheiden - und mehr Zeit, die Therapie mit dem Patienten zu besprechen.

Blutzucker-Selbstkontrolle als Element des Diabetes Managements

Dass die strukturierte Blutzucker-Selbstkontrolle den HbA1c-Wert bei nichtinsulinpflichtigen Menschen mit Typ-2-Diabetes reduzieren kann und somit ein wichtiges Element im individuellen Diabetes Management ist, zeigte Dr. Bernhard Kulzer, Geschäftsführer des Forschungsinstituts der Diabetes Akademie Bad Mergentheim anhand der STeP-Studie.[4]

"Die Blutzucker-Selbstkontrolle gibt dem Patienten die Möglichkeit, aktiv und eigenverantwortlich mit seinem Diabetes umzugehen", so Kulzer. "Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass bei Patienten, die ihren Blutzucker strukturiert messen, der HbA1c-Wert sinkt und Blutzuckerschwankungen besser kontrolliert werden können."

Pay for performance: Ein Modell für Deutschland?

Verschiedene Versorgungsmodelle beleuchtete Professor Benno Neukirch von der Hochschule Niederrhein. Er diskutierte, wie die Ansätze "Pay for performance" und "risk sharing" in Deutschland funktionieren könnten. Für die Disease-Management-Programme (DMP) könne dies beispielsweise bedeuten, dass Indikatoren eingesetzt werden, um die Behandlung zu beurteilen: Teilnehmende Ärzte würden anhand dieser Indikatoren eine Rückmeldung zur Qualität ihrer Behandlung erhalten. Ob und wie mögliche Qualitätszuschläge bei Zielerfüllung aussehen könnten, sei in Deutschland jedoch noch nicht geklärt.

Für Neukirch zeichnet sich ein DMP 2.0 für Diabetes Typ 2 durch eine bessere Vernetzung unter den Ärzten und dem betreuenden Fachpersonal, eine stärkere Einbeziehung des Patienten sowie die Nutzung von modernen Techniken und Analysewerkzeugen aus. Diese Maßnahmen haben in Kombination mit modernem Diabetes Management auf Basis der individuellen Blutzucker-Selbstkontrolle aus Sicht der Experten großes Potential, die Diabetesversorgung in Deutschland auch nachhaltig zukunftsfähig zu machen.

Quellen

  1. diabetesDE. Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2011; Mainz: Kirchheim: 2010.
  2. Köster I. et al. ECED 2011.
  3. Polonsky WH, Fisher L, Schikman CH, Hinnen DA, Parkin CG, Jelsovsky Z, et al. Structured Self-Monitoring of Blood Glucose Significantly Reduces A1C Levels in Poorly Controlled, Noninsulin-Treated Type-2-Diabetes: Results from the Structured Testing Program study. Diabetes Care. 2011 Feb;34(2):262-7.
  4. ebd.

zuletzt bearbeitet: 15.04.2011 nach oben

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