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Das diabetische Fußsyndrom - Schrecken und Last der Betroffenen
Vortrag des Bundesvorsitzenden des Deutschen Diabetiker Bundes
Weltdiabetestag am 14.11.2000 - DDU-Zentralveranstaltung in Berlin Haus der Kulturen
Sehr geehrte Damen und Herren, werte Betroffene!
Sehr anschaulich hat mein Vorredner, Herr Dr. Spraul, auf Ursachen, Erkennung und Behandlung des diabetischen Fußes hingewiesen.
Eingangs meiner Darlegungen muss ich nochmals auf zwei wichtige Zahlen hinweisen: 58.000 Fußgeschwüre und 28.000 Amputationen mit diabetischen Ursachen jährlich in Deutschland!
Diese Zahlen machen deutlich, welche Bedeutung die Prävention des Diabetes mellitus hat; nur allzu häufig sind die Schäden am Fuß das Erkennungsmerkmal überhaupt für das Krankheitsbild des Diabetes mellitus durch den Betroffenen selbst und die darauf folgende ärztliche Diagnose.
Neben anderen Erscheinungen wie Erblindungen, Nierenschäden, Herzinfarkt und Schlaganfall ist der diabetische Fuß und die damit verbundenen Folgerungen mit persönlichem Leid und Leiden verbunden; berufliche und familiäre Ziele sowie Vorstellungen werden gestört; die Bewegungsfähigkeit und Mobilität werden eingeschränkt; langandauernde Krankenlager mit Stillegung der Beine sind vorauszusehen; eingetretene Durchblutungs- und Nervenstörungen können zum Fortschreiten der Erkrankung führen.
Als Anwalt der Betroffenen muss der DDB mit Nachdruck auf dieses Thema aufmerksam machen - wie auch auf das von Dr. Renner behandelte Thema -, um das geschilderte menschliche Leid nachdrücklich zu verhindern. Eine Arbeitsgruppe "Initiative Diabetischer Fuß" mit Vertretern des DDB, des VKVD sowie des Landesverbands Sachsen im DDB hat sich im ersten Halbjahr 2000 sehr gründlich mit der Problematik beschäftigt und Vorschläge an die Vertreter der Gesundheitspolitik erarbeitet.
Ausgangspunkt dieser thematischen Auseinandersetzung war die im Jahre 1989 verabschiedete Deklaration von St. Vincent, die auch zur Reduzierung der Zahl der Amputationen europaweit das Ziel gesetzt hatte, eine Senkung um 50 % zu erreichen. Dieses Ziel wurde in Deutschland wie in seinen benachbarten Staaten in einem Zeitraum von zehn Jahren nicht erreicht. Dennoch stellen wir interessante Unterschiede fest; je 1.000 Diabetiker gab es nach Angaben aus dem Jahre 1998 in Deutschland 7,2, in Schweden 4, in Finnland 3,5 und in Dänemark 3 Amputationen der unteren Extremitäten bei Diabetikern. In den USA registrieren wir die Zahl 6. Das ist außerordentlich interessant und fordert zu wissenschaftlich-begründeten Schlussfolgerungen und gesundheitspolitischen Konsequenzen heraus.
Nicht unerwähnt kann ich in diesem Zusammenhang einen finanziellen Aspekt lassen. Der Jahresaufwand für eine ärztlich verordnete Fußpflege beträgt bei monatlicher Anwendung 500 DM. Im Jahre 1994 wurde diese aus der Liste der verordnungsfähigen Heilmittel durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gestrichen. Demzufolge wurden auch die Leistungsziffern aus dem ärztlichen Vergütungskatalog entfernt.
Das Bundessozialgericht hat am 16.11.1999 prinzipiell dazu Stellung genommen. Eine Entscheidungsveränderung der Krankenkassen (mit wenigen Ausnahmen in Einzelfällen) ist nicht erfolgt. Zum gleichen Zeitpunkt des Jahres 1994 erfolgte für Fußamputationen die Erhöhung der EBM-Zahlen (EMB = Einheitlicher Bewertungsmaßstab, Anm. d. Red.) von 1.700 auf 4.000. Ohne nachfolgende Kosten belastet eine Amputation den Haushalt mit 30.000 bis 40.000 DM. Damit erfolgte nur ein kleiner Blick auf finanzielle Ressourcen. Und dennoch: persönliches Leid lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken.
Selbstverständlich, meine Damen und Herren, müssen wir im Zusammenhang mit der ärztlichen Verantwortung auch auf die Verantwortung der Betroffenen hinweisen. Disziplin bei der Einhaltung der Therapie des Diabetes mellitus ist dabei eine wichtige Seite. Sie müssen wir mit unseren Forderungen zur Teststreifengewährung verbinden. Der Disziplin im Alltagsleben folgt die kontinuierliche Pflege und Kontrolle des Fußes durch den Betroffenen und die Kontrolle der Wahrnehmungsmöglichkeiten über den Fuß selbst.
Der Betroffene wird dabei vom Hausarzt und Diabetologen unterstützt. Ärztliche Schulungsmaßnahmen als Therapiebestandteil unterstützen den Betroffenen; das dort erworbene Wissen kann durch das Zusammensein in den Selbsthilfegruppen Diabetes befestigt, erneuert und mit Erfahrungen untersetzt werden. Ärztliche Untersuchungsergebnisse mit visuellen und apparativen Methoden sind Bestandteil des Gesundheitspasses "Diabetes".
Veröffentlichungen des DDB und der Fachunternehmen weisen auf weitere Möglichkeiten der Einflussnahme hin. Dazu gehören auch die Hinweise zur Auswahl und Pflege des Schuhwerkes, wo auch eine aktive Mitwirkung des orthopädischen Schuhmachers und des Fußpflegers als Mitglied seines Zentralverbandes zu sehen ist.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Verantwortung der Betroffenen habe ich im Rahmen meiner Aufgabenstellung charakterisiert. Für den DDB gibt es in Übereinstimmung mit dem VKVD der wesentliche gesundheitspolitische Forderungen; wir benennen sie wie folgt:
- prinzipielle stärkere Einbeziehung der Betroffenen und Patientenorganisationen in die Vorbereits- und Beratungsprozesse; Erläuterung wichtiger Entscheidungen durch Krankenversicherer und Ärzte vor den Betroffenen.
- den Abschluss der Diskussion zum "Podologengesetz", um den Rahmen für die Sicherung einer hohen Qualität der Behandlung des diabetischen Fußes zu schaffen; darauf aufbauende Voraussetzungen für die Ausbildung, Prüfung und Zulassung podologischer Fachkräfte in allen Bundesländern; Auswertung der Erfahrungen ausgewählter Länder und ihre bundesweite Nutzung.
- mit der klaren Abstimmung der Indikationskriterien für die ärztliche Verordnung von Behandlungsmaßnahmen am diabetischen Fuß als Leistung der Krankenkassen muss die Einführung kostendeckender Vergütungskennziffern für Ärzte und Podologen erfolgen. Die Fachverbände, beteiligte Organisationen und Betroffenenorganisationen sorgen sich um durchsetzbare Festlegungen für die Zusammenarbeit und Abgrenzungskriterien der Arbeitsteilung von Ärzten, Podologen und weiteren Leistungserbringern am diabetischen Fuß.
Wir sind der Auffassung, dass diese Forderungen Bestandteil der gegenwärtigen Initiativen von SPD und Bündnis90/Grüne zur Erarbeitung eines Programmes "Ziele für die Qualitätssteigerung in der Diabetes-Versorgung" werden müssen. Auch hier werden wir als Betroffenenorganisation die uns gegebenen Möglichkeiten zur Mitwirkung nutzen.
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