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Der Risikostrukturausgleich und seine Reform
RSA und DMPs
- Risikostrukturausgleich
- DMPs
Mitte der 90er Jahre wollte das Bundesministerium für Gesundheit mit der Einführung des Risikostrukturausgleichs und der freien Kassenwahl (siehe Zeitleiste) die Grundlage für eine "solidarische Wettbewerbsordnung" schaffen. Die einzelnen Kassen sollten vor allem durch Einsparungen bei den Verwaltungskosten über eine Senkung der Beitragssätze miteinander konkurrieren.
Doch die verschiedenen Krankenkassen haben eine unterschiedliche, historisch gewachsene, Mitgliederstruktur. Denn die Kassenzugehörigkeit war bis 1996 an Berufsgruppen gebunden. Deshalb gibt es bei den einzelnen Krankenversicherungen bis heute eine ganz unterschiedliche Verteilung von Risikopatienten. "Risiko" heißt aus Kassensicht vor allem Ältere und chronisch Kranke.
Risikostrukturausgleich
Der 1994 eingeführte Risikostrukturausgleich (RSA) sollte alle Kassen finanziell so stellen, als ob ihre Mitglieder die durchschnittliche Risikostruktur hätten. In den gemeinsamen Topf der gesetzlichen Krankenkassen zahlen alle Kassen für jedes Mitglied einen bestimmten Prozentsatz ein. Der RSA basiert auf den unveränderbaren Faktoren: Einkommen, Alter, Geschlecht und mitversicherte Familienangehörige. Er war nach Ansicht aller Experten die wesentliche Voraussetzung, um gleiche Startchancen für den Wettbewerb und die freie Kassenwahl zu erreichen. Unberücksichtigt blieb bei dieser Form des kassenübergreifenden Finanzausgleichs der tatsächliche Krankheitsstatus der Versicherten.
Kassenwahlfreiheit
Seit 1996 können sich die Bürger ihre Krankenkasse selbst aussuchen. Mit der Einführung der freien Kassenwahl beabsichtigte das Gesundheitsministerium, Solidarität und Wirtschaftlichkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung miteinander zu verbinden. Der Wettbewerb sollte für die Kassen Anreize schaffen, wirtschaftlicher zu arbeiten.
Da der wirkliche Gesundheitszustand im RSA nicht berücksichtigt war, kam es zu einer Risikoselektion. Die Krankenkassen warben vor allem um gesunde und junge Mitglieder. Außerdem kam der Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 2000/2001 in seinem Gutachten: "Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit" (Kurzfassung als PDF 898 kb) zu dem Schluss, dass unser Gesundheitswesen nicht das leistet, was es leisten könnte und müsste.
Zwar nehme Deutschland im internationalen Vergleich eine Spitzenposition bei den Gesundheitsausgaben ein, die Ergebnisse seien jedoch vielfach unterdurchschnittlich. Wesentliche Ursachen dafür sind nach Ansicht der Gutachter die schlechte Versorgung chronisch Kranker und das unzureichende Zusammenspiel zwischen Hausärzten, Fachärzten und Kliniken. Die Reform des Risikostrukturausgleichs soll dies ändern.
Reform des Risikostrukturausgleich
Bereits 1999 forderte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, eine Untersuchung über die Wirkung des Risikostrukturausgleichs in Auftrag zu geben. Zwei Forschergruppen kamen zu dem Ergebnis, dass der RSA die gleichmäßige Verteilung von besonders teuren Kassenmitgliedern nicht erreicht habe. Vor allem junge und gesunde Menschen gingen von den Allgemeinen Ortskrankenkassen und den Ersatzkassen zu den preiswerteren Betriebskrankenkassen. Der RSA müsse reformiert werden, um die Wettbewerbsverzerrung zu verhindern.
Das 2001 verabschiedete "Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung" soll die genannten Mängel beseitigen. Durch die gesetzliche Regelung (§§ 266 ff. SGB V) soll eine qualitativ hochwertige Versorgung chronisch Kranker für die Kassen attraktiv und finanzierbar werden. Denn in Deutschland werden vermutlich weniger als die Hälfte der Chroniker nach wissenschaftlich gesicherten Standards (Evidence-Based Medicine (EBM)) behandelt. Durch diese Strukturmängel im Gesundheitswesen kommt es nicht selten zu einer Über-, Unter- und Fehlversorgung. Die RSA-Reform soll diese Entwicklung verhindern.
Die drei Grundbausteine der RSA-Reform sind:
- die finanzielle Förderung von Disease-Management-Programmen im Risikostrukturausgleich,
- die Schaffung eines Risikopools für überdurchschnittlich hohe Leistungsaufwendungen für einzelne Patientinnen und Patienten und
- die Weiterentwicklung des RSA durch eine direkte Erfassung des tatsächlichen Gesundheitszustandes (Morbiditätsrisiken) der Versicherten (morbiditätsorientierter RSA)
Disease-Management-Programme
Das Herzstück der RSA-Reform ist die Einführung so genannter Disease-Management-Programme (DMP) ab 1. Juli 2002. Auf der Basis von wissenschaftlich geprüften Leitlinien werden strukturierte Behandlungsprogramme für ausgewählte Krankheiten (u.a. Diabetes) erarbeitet. Diese Programme sollen aus Sicht des Gesetzgebers zu einer spürbaren Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung chronisch Kranker führen und das Auftreten von Folgeschäden vermindern.
Der vom Gesundheitsministerium eingesetzte Koordinierungsausschuss hat der Ministerin im Mai 2002 eine Empfehlung für die "'Anforderungen' an die Ausgestaltung von Disease-Management-Programmen für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2" (PDF 102 kb) überreicht. Auf dieser Grundlage wird nun eine Verordnung zur Reform des Risikostrukturausgleichs erarbeitet. (Aus Patientensicht ist in diesem Zusammenhang interessant, dass im Koordinierungsausschuss Ärzte-, Krankenkassen- und Krankenhausvertreter sitzen, der Deutsche Diabetiker Bund oder Mitglieder anderer Patientenorganisationen jedoch fehlen.)
Wie Disease-Management-Programme schließlich aussehen werden, weiß heute noch keiner so genau. Jede Krankenkasse wird auf der Grundlage der qualitätsgesicherten Leitlinien, nach denen die Programme vom Bundesversicherungsamt zertifiziert werden, eigene Chronikerprogramme erstellen. Sie erhält dann zusätzliche Mittel aus Risikostrukturausgleich für Patienten, die sich freiwillig zur Teilnahme eingeschrieben haben. Die tatsächliche Ausgestaltung und Umsetzung der Programme wird letztendlich zwischen regionalen Vertretern der jeweiligen Krankenkasse und der Kassenärztlichen Vereinigung "ausgehandelt".
Risikopool
Ab 2003 wird der Risikopool als Topf für Ausgleichszahlungen bei besonders teuren, chronisch kranken Versicherten dienen. Berücksichtigt werden dabei die Ausgaben für stationäre Versorgung, Arzneimittelversorgung, nichtärztliche Leistungen der ambulanten Dialyse sowie Kranken- und Sterbegeld.
Übersteigt die Summe der Kosten für einen einzelnen Versicherten 20.450 Euro im Jahr, übernimmt die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung 60 Prozent der Mehrkosten. Der Ausgleich erfolgt über den Risikopool des Risikostrukturausgleichs. Der Risikopool dient lediglich als Überbrückung des Zeitraumes bis zur Einführung eines morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs.
Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich
Spätestens 2007 soll mit der direkten Erfassung des tatsächlichen Gesundheitszustandes der Versicherten der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich vollständig umgesetzt sein. Die Ausgleichszahlungen erfolgen dann entsprechend der Diagnose und den tatsächlich anfallenden Behandlungskosten für Patienten. Da Gesunde und Kranke dann grundsätzlich unterschiedlich berücksichtigt werden, können die gesetzlichen Krankenkassen keine Beitrags- oder Wettbewerbsvorteile mehr durch die Bindung von gesunden Versicherten erzielen. Die Abhängigkeit von der Teilnahme an Disease-Management-Programmen entfällt.
Der Risikopool wird in einen Hochrisikopool überführt werden, der nur noch für sehr teure Krankheitsausgaben einen Ausgleich nach dem Solidaritätsprinzip vorsieht. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sind diese Maßnahmen eine wesentliche Voraussetzung für eine weitere Angleichung der Wettbewerbsbedingungen der Krankenkassen und eine spürbare Verbesserung der Versorgung chronisch Kranker.