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Fluch oder Segen - warum nicht alle Menschen mit Diabetes von AID und CGM profitieren
Statement von Ultike Thurm, Sportlehrerin und Diabetesberaterin DDG, Berlin, im Rahmen der Pressekonferenz im Vorfeld des Diabetes Kongresses 2025 der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 22. Mai 2025 online.Innovative Technologien wie AID und CGM: zwischen Benefit und psychischer Herausforderung - warum nicht alle Menschen mit Diabetes davon profitieren
Was bedeutet das für die Diabetologie, die Menschen mit einem Diabetes, wenn die KI Einzug hält? Ich stehe hier nicht als Wissenschaftlerin, sondern als Diabetesberaterin DDG und als Mensch mit Diabetes. Ich trage seit fast 40 Jahren eine Insulinpumpe und nutze seit 2017 ein DIY-AID-System, deshalb werde ich nicht über statistische Zahlen und Studiendaten berichten, sondern Ihnen Geschichten erzählen von Patientinnen und Patienten, die unglaublich von diesen Technologien profitiert haben, aber auch von den Menschen, die daran gescheitert sind oder fast wären (Namen sind geändert).
- Bericht zu Sophie, Kind mit Typ-1-Diabetes
- Bericht zu einem jungen Profifußballer, der heute aktiv in der Bundesliga und der deutschen Nationalmannschaft (U19) spielt, bei dem ein CGM-System und eine spezielle Betreuung für Profisportlerinnen und -sportler mit einem Typ-1-Diabetes, Challenge - D, zum Einsatz kamen.
Weitere Informationen zu Challenge - D: https://www.instagram.com/challengedprojekt/
Bei so bewegenden Erfolgsgeschichten könnte man jetzt denken, wo bleibt das ABER, warum nutzen nicht alle Menschen mit einem Typ-1-Diabetes diese segensreichen Therapien? Deshalb kommen wir jetzt zum Fluch. Dieser Fluch hat viele Gesichter, er hat etwas mit Vertrauen in die Technologie zu tun, das Diabetesmanagement, das man selbst erfolgreich über Jahrzehnte durchgeführt hat, einem "Algorithmus" anzuvertrauen. Auch die Datensicherheit ist für viele ein Thema.
Typ-1-Diabetes ist ein 24/7-Job, jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr für den Rest eines Lebens. Die Menschen müssen bei jeder Therapieentscheidung - was esse ich, wie viel spritze ich, bewege ich mich noch, trinke ich Alkohol? - weitere 42 Faktoren in ihrem Hirn jonglieren, die hormonelle Situation, das Stresslevel, die Schlafqualität, die Bewegung vom Vortag etc. - wäre es da nicht für alle ein Segen, wenn die Technologie da Abhilfe schaffen könnte? Ja, wäre es und ist es, aber aktuell sind diese AID-Systeme Hybrid-Closed-Loop-Systeme, das heißt, sie unterstützen die Menschen bei ihrem täglichen Diabetesmanagement, sie nehmen es ihnen NOCH nicht ab. Einige Beispiele:
- Bericht zu Klara, einer jungen Medizinstudentin, die ohne jegliche therapeutische Schulung ein CGM-System angelegt bekam
- Bericht zu einem jungen Mann, völlig gestresst, Vater von 2 kleinen Kindern, der für sein Diabetesmanagement keine Zeit hatte, wurde zur Unterstützung auf ein AID-System umgestellt. Aber auch mit AID-Therapie fand er durch die viele Arbeit und die familiären Anforderungen nicht die Zeit, sich in diese Therapie einzuarbeiten. Er ging joggen, ohne dem System die körperliche Aktivität anzukündigen, und verstarb auf seiner Joggingrunde im Wald.
Denn - AID-Systeme sind kein Selbstläufer, sie unterstützen lediglich, aber Veränderungen der Insulinempfindlichkeit, Sport, Alkohol etc. müssen dem System weiterhin angekündigt werden. Außerdem müssen die Nutzenden wissen, wie sie ihre eigenen Daten analysieren können, um ihre persönliche AID-Therapie optimieren zu können.
Denn das Diabetesteam sehen die Betroffenen 4-mal im Jahr, zum Quartalsbesuch, und sprechen dort zwischen 5 und 30 Minuten mit dem Diabetesteam. Die restlichen 8.758 Stunden im Jahr müssen sie ihre Therapie zu Hause, im Urlaub, in stressigen Arbeitssituationen selbst anpassen und optimieren können.
Zentrale Botschaft: Die Schulung und die Eigenverantwortung der Menschen mit einem AID-System sind der entscheidende Faktor, ob die Therapie einen Segen oder einen Fluch für sie darstellt. Wir, die Diabetesteams, müssen unsere Patientinnen und Patienten so coachen und begleiten, dass sie in der Lage sind, die Eigenverantwortung für das Diabetesmanagement kompetent zu übernehmen. Professor Dr. Michael Berger, einer der bedeutendsten Diabetologen seiner Zeit, bei dem ich die Diabetologie lernen durfte, hat den Satz geprägt: "Jeder Mensch mit Diabetes muss so gut geschult werden, dass er sein eigener, bester Diabetologe ist."
Das gilt heute unverändert auch für den Einsatz der Diabetestechnologie. Sie nimmt auch uns, den Diabetesteams, nicht unsere Arbeit ab, sie verändert sie. Auch wir müssen uns intensiv schulen und weiterbilden, um unsere Patientinnen und Patienten so kompetent schulen zu können, dass sie motiviert diese Eigenverantwortung übernehmen und die Fachkompetenz haben, dieses auch erfolgreich tun zu können.
Bildunterschrift: Ulrike Thurm, Diabetikerin, Sportlehrerin und Diabetesberaterin DDG.
Bildquelle: www.diabsite.de.