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Diabetes - eine stille Epidemie mit schwerwiegenden Folgen
Statement von Professorin Dr. Julia Szendrödi, Vizepräsidentin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Ärztliche Direktorin der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie, Stoffwechselkrankheiten und Klinische Chemie des Universitätsklinikums Heidelberg, im Rahmen der Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 20. Februar 2025 in Berlin.Deutschland braucht mehr diabetologisches Fachpersonal
Die Versorgung von Menschen mit Diabetes erfordert spezialisierte Fachkräfte, da die Erkrankung besonders bei vulnerablen Gruppen mit hoher medizinischer Komplexität einhergeht. Besonders betroffen sind ältere Patient*innen, sozial Benachteiligte sowie Menschen mit mehreren Diabeteskomplikationen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Nierenerkrankungen oder Nervenschäden. Diese Patientengruppen benötigen eine interdisziplinäre Betreuung, die über die Blutzuckerkontrolle hinausgeht und präzise Risikobewertungen, das Management komplexer Medikationspläne sowie die Vermeidung von Krankenhausaufenthalten umfasst.
Alarmierende Zahlen verdeutlichen den Handlungsbedarf. Die Zahl diabetesbedingter Amputationsraten in Deutschland stagniert in den letzten Jahren. Zwischen 2015 und 2022 ging die Amputationsrate bei Frauen von 6,8 auf 5,2 pro 100.000 Einwohnerinnen, bei Männern von 18,6 auf 17,5 zurück. Diese Rückgänge sind jedoch ungleich verteilt: In sozioökonomisch benachteiligten Regionen sind die Raten signifikant höher. Im Gegensatz dazu weisen städtische Regionen mit besserer medizinischer Infrastruktur niedrigere Raten auf. https://www.rki.de/DE/Themen/Gesundheit-und-Gesellschaft/Gesundheitsberichterstattung/gesundheitsberichterstattung-node.html
Die frühzeitige Verordnung podologischer Behandlungen und die rechtzeitige Durchführung interventioneller Gefäßtherapien, welche bei diabetologischer, fachspezifischer Betreuung erfolgen, sind entscheidende Faktoren, die am stärksten mit der Verhinderung von Amputationen bei Menschen mit erhöhtem Risiko assoziiert sind. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27428500/
Auch die Verordnung von Diabetesmedikamenten zeigt deutliche regionale Unterschiede. Während in einigen Regionen verstärkt innovative Antidiabetika wie GLP-1-Analoga verschrieben werden, bleibt in anderen Gebieten die Insulintherapie dominierend. Diese Unterschiede lassen sich nicht nur auf regionale Präferenzen zurückführen, sondern deuten auch auf mögliche Diskrepanzen in der Adhärenz zu leitliniengerechter Versorgung hin. https://www.versorgungsatlas.de/fileadmin/ziva_docs/62/VA-62-Liraglutid-Bericht-final.pdf
Trotz eines generellen Rückgangs der Herzinfarkt-Mortalität profitieren Menschen mit Typ-1-Diabetes deutlich weniger von diesen Fortschritten. Sie haben weiterhin ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und eine höhere Sterblichkeit nach Herzinfarkten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Ein wesentlicher Faktor hierfür ist die unzureichende Umsetzung leitliniengerechter Versorgung bei Typ-1-Diabetes, da das kardiovaskuläre Risiko, bedingt durch die lange Krankheitsdauer bei vergleichsweise jungen Patient*innen, häufig von nicht spezifisch geschultem Fachpersonal unterschätzt wird. Besonders bei Frauen mit Diabetes wird das kardiovaskuläre Risiko häufig unterschätzt, obwohl sie ein höheres relatives Risiko für Herzinfarkte und eine schlechtere Prognose nach kardiovaskulären Ereignissen haben. Dies liegt unter anderem an geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Symptomatik, einer geringeren Sensibilisierung für das Risiko und Verzögerungen in der leitliniengerechten Therapie. https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/JAHA.123.034741
Diese Entwicklungen verdeutlichen den akuten Mangel an geschultem diabetologischem Fachpersonal in Deutschland, der eine flächendeckende und spezialisierte Versorgung gefährdet. Angesichts der steigenden Diabetesprävalenz und medizinischen Komplexität ist eine gezielte Förderung und Ausbildung von Fachkräften dringend notwendig, um Versorgungslücken zu schließen und besonders vulnerable Gruppen zu schützen. Nur durch den Ausbau einer qualitativ hochwertigen, regional angepassten Versorgung lassen sich die Lebensqualität und Prognose von Menschen mit Diabetes nachhaltig verbessern.
Es gilt das gesprochene Wort!
Bildunterschrift: Professorin Dr. Julia Szendrödi
Bildquelle: www.diabsite.de.