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Trendwende bei der Behandlung der pAVK

Abstract zum Vortrag von Prof. Dr. med. Markus Steinbauer, Präsident der, Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin, Kongresspräsident DGG 2021, Leiter der Zertifizierungskommission der DGG, Leiter des Gefäßzentrums und Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie am Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg, im Rahmen der Online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e.V. (DGG) am 19. Oktober 2022 anlässlich ihrer 38. Jahrestagung in Wien.

Weg von der Standardtherapie für alle, hin zu einer patientenindividuellen Therapie

Viele Diabetiker entwickeln im Laufe ihres Lebens eine pAVK. Das ist eine Durchblutungsstörung. Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), eine häufige Volkskrankheit mit mehr als 236 Millionen Betroffenen weltweit, ist eines der Hauptthemen der diesjährigen Dreiländertagung der Deutschen (DGG), Österreichischen (ÖGG) und Schweizerischen (SGG) Gesellschaften für Gefäßchirurgie 2022 in Wien. Die pAVK lässt sich in ihrer asymptomatischen Form (ohne Beschwerden) bei circa 20 Prozent aller über 65-Jährigen nachweisen. In späteren Krankheitsstadien mit typischen Symptomen lässt sich die pAVK bei etwa fünf Prozent der über 55-Jährigen finden.

Zusätzlich entwickeln etwa 50 Prozent der weltweit mehr als 500 Millionen Diabetiker im Laufe ihres Lebens eine pAVK, was die globale Bedeutung zusätzlich unterstreicht. Trotz ihrer Häufigkeit und der vor allem mit der systemischen Gefäßverkalkung verbundenen Risiken für Leben und Beinerhalt gilt die pAVK in der breiten Öffentlichkeit heutzutage als unterschätzt und erfährt im Vergleich zu anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen weniger mediales Interesse.

Die DGG ist mit mehr als 3200 Mitgliedern derzeit die europaweit größte und bei der stationären Behandlung führende Fachgesellschaft, die aktuell intensiv an der Aktualisierung der mittlerweile veralteten AWMF-S3-Leitlinie zur pAVK arbeitet. Die aktualisierte Leitlinie wird im nächsten Jahr veröffentlicht werden und hat insbesondere für die evidenzbasierte Behandlung unserer Patient/innen in Deutschland große Bedeutung.

Mehr als 70 Prozent aller stationären Behandlungen der pAVK in Deutschland erfolgen in gefäßchirurgischen Abteilungen beziehungsweise chirurgischen Abteilungen mit gefäßchirurgischer Expertise,[1]

Die Behandlung der pAVK entwickelt sich dabei rasant weiter - vor allem weg von einer Standardtherapie der Wahl (one size fits all), hin zu einer individualisierten und patientenzentrierten Therapieempfehlung. Hierbei ist einmal zu unterscheiden zwischen den kompensierten symptomatischen pAVK-Stadien (der sogenannten Schaufensterkrankheit) und den die Extremitäten gefährdenden Stadien der chronischen kritischen Extremitätenischämie (CLTI). Neue und einheitliche Klassifizierungssysteme der Verschlussprozesse und der Ursachen von gefäßbedingten Wunden erlauben besser und personalisierter, konservative, endovaskulär-interventionelle und operative Therapieverfahren für die Patient:innen auszuwählen. Auch das Fach Gefäßchirurgie hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt. Während das therapeutische Spektrum vor 30 Jahren noch überwiegend offen-chirurgische Verfahren (mit Schnitt) umfasste, leisten heutige Gefäßchirurg/innen das gesamte verfügbare Versorgungsspektrum von den minimalinvasiven kathetergestützten Verfahren bis zu komplexen Bypässen. Zusätzlich sind gerade bei gefäßbedingten Wunden und insbesondere in der Behandlung des diabetischen Fußes zusätzliche chirurgische und wundtherapeutische Kompetenzen notwendig.

Gefäßchirurgische Kliniken, die alle Therapiesäulen in hoher Qualität anbieten, sowie die seit 2003 von der DGG zertifizierten interdisziplinären Gefäßzentren zeichnen sich hierfür mit ihrer überprüften Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität in besonderem Maße aus.

Aufgrund der guten flächendeckenden gefäßchirurgischen Versorgung ist es gelungen, die Majoramputationsrate in Deutschland - trotz einer hohen Prävalenz der Zuckerkrankheit in Deutschland - von 2005 auf 2014 um 30,9 Prozent[2] und weiter von 2015 auf 2019 um weitere 7,3 Prozent zu senken.[3] Wir hoffen, dass das seit 2019 angebotene Zweitmeinungsverfahren beim diabetischen Fußsyndrom und die für das nächste Jahr angekündigten Empfehlungen der pAVK- Leitlinie zu weiteren Erfolgen in der Behandlung dieser Volkskrankheit führen werden.

Trotz aller Erfolge der durchblutungsverbessernden Therapien muss bei der Häufung der die Extremitäten gefährdenden Durchblutungsstörungen bei Älteren und zunehmend gebrechlichen Patient:innen darauf geachtet werden, dass nicht alle Patient/innen von einer invasiven Therapie profitieren. Die DGG setzt sich mit den zuständigen Kommissionen seit Längerem dafür ein, hierfür altersmedizinische Assessments und geriatrische Versorgungsformen zu etablieren, um auch symptomkontrollierende beziehungsweise palliativmedizinische Therapien im Bedarfsfall anzubieten. Die enge und gute Zusammenarbeit mit den geriatrischen Fachgesellschaften stellt dabei einen Schlüssel zu einer patientenzentrierten und partizipativen Gefäßmedizin dar.

Ergänzt werden die gemeinsamen Bemühungen auch durch präventive Maßnahmen. Als langsam voranschreitende chronisch-komplexe Erkrankung mit oft jahrzehntelanger Beschwerdefreiheit ist es nicht unüblich, dass Betroffene eine lange Vorgeschichte ohne korrekte Krankheitsdiagnose durchmachen und dabei zahlreiche Arztkontakte erleben. Die Erforschung und Optimierung dieser Patient/innenpfade ist dabei ebenso wichtig wie die konsequente Etablierung der besten konservativen Therapie zur Verbesserung des Verlaufs.[4] Auch hierbei ist die fruchtbare Zusammenarbeit mit den Gesellschaften der hausärztlichen Versorgung ein entscheidender Aspekt, um gefäßmedizinische Erkenntnisse und Empfehlungen in andere Behandlungssektoren zu überführen.

Es gilt das gesprochene Wort!

Quellen

  1. Kühnl, A., Knipfer, E., Lang, T., et al. Krankenhausinzidenz, stationäre Versorgung und Outcome der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit und arteriellen Thrombose/Embolie in Deutschland von 2005 bis 2018. Gefäßchirurgie 25, 433–445 (2020). https://doi.org/10.1007/s00772-020-00677-6

  2. Kröger, K., Berg, C., Santosa, F., Malyar, N., Reinecke, H. Lower limb amputation in Germany – an analysis of data from the German Federal Statistical Office between 2005 and 2014. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 130-6. DOI: 10.3238/arztebl.2017.0130.

  3. Walter, N., Alt, V., & Rupp, M. (2022). Lower Limb Amputation Rates in Germany. Medicina, 58(1), 101.

  4. Rosenberg, Y., Görtz, H., Rother, U., et al. Empfehlungen zur konservativen Therapie und Sekundärprävention der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK): eine evidenzbasierte Informationsbroschüre für Betroffene. Gefäßchirurgie 27, 39–45 (2022). https://doi.org/10.1007/s00772-021-00855-0

Bildunterschrift: Durchlutungsstörungen führen bei Diabetiker/innen oft zu einer paVK.
Bildquelle: Monika Gause für www.DiabSite.de

zuletzt bearbeitet: 21.11.2022 nach oben

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