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Beruf, Familie und ein chronisch krankes Kind

Expertentenstatement zum Vortrag von Professor Dr.  rer.  nat.  Karin Lange, 2. Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der DDG; Leiterin der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie, Medizinische Hochschule Hannover, im Rahmen der Pressekonferenz "Zukunftstag Diabetologie: 'Psychosoziale Versorgung von Menschen mit Diabetes'" der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 17. Oktober 2019 in Berlin.

Eltern brauchen mehr Unterstützung - Ergebnisse der AMBA-Studie

In den letzten zwei Dekaden konnte die langfristige gesundheitliche Prognose von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes dank moderner Insuline, neuer Diabetestechnologien und qualifizierter Schulungen eindrucksvoll verbessert werden. Diese Erfolge hängen jedoch weiterhin davon ab, ob und in welcher Weise es Familien gelingt, die zu¬nehmend anspruchsvollere Therapie an 365 Tagen eines Jahres konsequent und sachkundig umzusetzen[1,2]. Insulingaben müssen dazu kontinuierlich an den täglich wechselnden Bedarf angepasst werden. Sie sind abhängig von körperlicher Aktivität, Menge und Qualität der Nahrung, psychischem Stress, Krankheit und vielen weiteren Faktoren. Fehldosierungen können zu bedrohlichen akuten Krisen und langfristigen Gesundheitsproblemen führen.

Kinder und auch noch viele Jugendliche sind von den kognitiven Anforderungen der Selbst¬behandlung ihres Diabetes ebenso überfordert wie von der ständigen Kontrolle ihrer Impulse, zum Beispiel Essen, Trinken oder Körperlich-aktiv-Sein. Eltern stehen damit vor zwei Aufgaben: 1) Den Diabetes ihres Kindes konsequent behandeln und 2) Das Kind verantwortlich erziehen und fördern. Eine liebevolle, aber auch konsequente Erziehung im Sinne eines autoritativen Stils[3] hat sich allgemein, besonders aber auch bei chronisch kranken Kindern bewährt, um sie auf die lebenslange, eigenverantwortliche Therapie vorzubereiten. Gleichzeitig sollen aber auch das Selbstbewusstsein und die emotionale Stabilität des Kindes gefördert und eine altersgemäße seelische und kognitive Entwicklung ermöglicht werden.

Die Diabetesdiagnose bei einem Kind stellt für alle Familien einen Einschnitt in die Lebensplanung dar, je jünger ein Kind dabei ist, umso tiefer. In spezialisierten pädiatrischen Diabeteszentren werden Familien mit der Erkrankung zunächst stationär vertraut gemacht und umfassend zur Diabetestherapie geschult.[4,5] In einigen Zentren, jedoch längst nicht in allen, werden auch psychologische und soziale Beratungen für Familien angeboten. Nach der Entlassung aus der Kinderklinik schließt sich eine ambulante Langzeitbetreuung an. Dabei ist jedoch weder eine psychologische noch eine soziale Beratung noch bedarfsgerechte Kurzschulung durch Diabetesberater mangels entsprechender Finanzierungskonzepte vorgesehen. Diese werden von vielen Eltern laut der AMBA-Studie 2018 vermisst und dringend gewünscht.[6]

Zentrale Herausforderungen für die Familien in den ersten Jahren nach Diabetesdiagnose betreffen die diabetesgerechte Versorgung in Krippen, Kindergärten, Schulen, bei Fahrten oder in Sportvereinen. Hinzu kommen psychische Belastungen durch Akzeptanzprobleme der Kinder und Eltern, Schuldgefühle und Überforderung vor allem der Mütter. Je jünger ein Kind an Diabetes erkrankt, umso häufiger geben Mütter laut der AMBA-Studie 2018 ihre Berufstätigkeit ganz oder teilweise auf, um sich verantwortlich um das Kind zu kümmern.[5] Die finanziellen Einbußen der Familien werden oft durch Mehrarbeit der Väter zulasten des Familienlebens kompensiert. Die hohen Ansprüche der Diabetestherapie, unvorhersehbare Schwankungen der Glukosewerte bei Kindern und Jugendlichen, Widerstand des Kindes gegen die Behandlung und Adhärenzprobleme Pubertierender stellen für Mütter eine hohe psychische Belastung dar, die zu einer erhöhten Rate von Angststörungen und Depression führt. Besonders gefordert sind dabei Alleinerziehende, Patchworkfamilien und sozioökonomisch benachteiligte Familien, in denen ein oder mehrere Kinder mit Diabetes leben.[1,7]

Zur Reduktion der Belastungen können verschiedene Maßnahmen beitragen: 1) Die Möglichkeit von kurzfristigen Beratungen durch Diabetesberater, Psychologen oder Sozialarbeiter im Rahmen der ambulanten Langzeitbetreuung; 2) Diese könnte auch telemedizinisch angeboten werden; 3) Niederschwellige psychologische Unterstützung belasteter Eltern im Kontext der Langzeittherapie des Kindes mit Diabetes; 4) Unkomplizierte Aufnahme von Kindern mit Diabetes in KITAS und Schulen; 5) Gesetzliche Regelungen zur qualifizierten Versorgung von Kindern mit Diabetes in KITAS und Schulen.

Quellen

  1. Phelan H, Lange K, Cengiz E, Gallego P, Majaliwa E, Pelicand J, Smart C, Hofer SE. Diabetes education in children and adolescents. ISPAD Clinical Practice Consensus Guidelines 2018 Compendium. Pediatr Diabetes 2018;19(Suppl 27):75-83.

  2. Neu A, Bürger-Büsing J, Danne T, Dost A, Holder M, Holl RW, Holterhus PM, Kapellen T, Karges B, Kordonouri O, Lange K, Müller S, Raile K, Schweizer R, von Sengbusch S, Stachow R, Wagner V, Wiegand S, Ziegler R. German Diabetes Association: Clinical Practice Guidelines: Diagnosis, Therapy and Follow-up of Diabetes mellitus in Children and Adolescents. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2019;127:341-52.

  3. Saßmann H, Lange K. DELFIN - das Schulungsbuch für Eltern von Kindern mit Diabetes. Verlag Kirchheim, Mainz (2015) S. 1-86. ISBN 978-3-87409-573-0.

  4. Lange K, Kordonouri O. Setting the right course at type 1 diabetes diagnosis. Lancet Child Adolesc Health. 2019;3:138-9.

  5. Lange K. Psychology of Childhood Diabetes: How to motivate children and families with T1DM. Horm Res Paediatr. 2018; 90(suppl 1) 15-16.

  6. Dehn-Hindenberg A, Lange K. Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes: Folgen für Berufstätigkeit, psychosoziale Belastungen und Bedarf an Unterstützungsleistungen - Ergebnisse der AMBA-Studie. Diabetologie und Stoffwechsel 2019; 14(S 01): S69.

  7. Kordonouri O, Lange K, Biester T, Datz N, Kapitzke K, von dem Berge T, Weiskorn J, Danne T. Determinants of glycaemic outcome in the current practice of care for young people up to 21 years old with Type 1 diabetes under real-life conditions. Diabetic Medicine, 2019 accepted.

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zuletzt bearbeitet: 31.10.2019 nach oben

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