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Studienergebnisse zu Diabetes-Medikament
Statt Spritze - orale Gabe von Semaglutid
Aktuelle Studien vorgestellt und kommentiert von Prof. Helmut Schatz
Auf dem Kongress der Amerikanischen Diabetesgesellschaft (ADA) in San Franzisko vom 7. - 11. Juni 2019 wurde das Studienprogramm mit dem oralen GLP-1-Rezeptoragonisten Semaglutid vorgestellt: Die Resultate der PIONEER-6-Studie wurden zeitgleich im New England Journal of Medicine publiziert). Die zu injizierende Form von Semaglutid ist unter dem Handelsnamen Ozempic® bereits auf dem Markt. Der Zulassungsantrag für orales Semaglutid wurde im April 2019 bei der FDA und EMA eingereicht. Die günstigen Effekte von 1x wöchentlich s.c. Semaglutid wie in der SUSTAIN-6-Studie zeigten sich auch bei der oralen Form von Semaglutid wie Senkung von HbA1c und Gewicht. Kardiovaskuläre (CV) Ereignisse wurden mit der oralen Form jedoch nicht in signifikantem Ausmass gesenkt (um 21 %, p=0.17). Gegenüber Plazebo bestand somit nur eine Nicht-Unterlegenheit.
Primärer Endpunkt von PIONEER-6 war das Auftreten ernster CV Ereignisse (MACE, Komposit-Endpunkt aus CV Tod und nicht-fatalem Herzinfarkt oder Schlaganfall). MACE ereigneten sich in 15.9 Monaten in der Semaglutid-Gruppe in 61 von 1591 (3.8 %) vs. 76 von 1592 (4.8 %) Patienten (HR 0.79; 0.57-1.11: p<0.001 für non-inferiority). Isoliert betrachtet hatten die einzelnen Komponenten des Komposit-Endpunktes abgenommen.
Das Peptid Semaglutid, das nicht wesentlich kleiner als Insulin ist, oral in den gewählten Dosen von 3,7 und 14 mg effektiv als Tablette über die Magen-Darm-Barriere hinweg zuzuführen, gelang mit einer Co-Formulierung eines kleinen Fettsäure-Derivates (SNAC = Sodium-N-Hydroxybenzoyl-Amino-Caprylat). Dieses begünstigt die Aufnahme von Semaglutid durch das Magen-Darm-Epithel, indem es am Absorptionsort den pH erhöht, wodurch die Löslichkeit des GLP-1-Agonisten gesteigert wird, bei gleichzeitigem Schutz vor der Degradation.
Auch die Firma Oramed arbeitet an einem oralen GLP-1-Agonisten (ORMD-0991, siehe Lit.). Novo Nordisk hat die Entwicklung ihres oralen Insulins I-338 nach erfolgreicher Phase II wegen "Unwirtschaftlichkeit" eingestellt, da im Vergleich zur Wirkung von s.c. Glargininsulin eine 45x höhere Menge oralen Insulins erforderlich war.
Kommentar
Die Therapietreue könnte bei oralem Semaglutid höher sein als bei der s.c. Form, wenn der Referent in seiner Praxis auch immer wieder feststellen muss, dass viele seiner Diabetespatienten eher manche der Tabletten weglassen als eine Spritze, wenn sie die Injektionen einmal "akzeptiert" haben. Auch muss man die Semaglutid-Tabletten morgens etwa ½ Stunde vor dem Frühstück einnehmen.
Die Dauer der PIONEER-6-Studie war mit knapp 16 Monaten recht kurz, so dass die Langzeit-Sicherheit noch evaluiert werden muss. Patienten mit fortgeschrittener Retinopathie waren ausgeschlossen worden, wegen der Daten aus der SUSTAIN-6-Studie. Wie der in San Francisco als Kommentator eingeladene Vivian Fonseca von der Tulane - Universität in New Orleans sagte, sei eine genügend gepowerte Studie über längere Zeiträume nötig, um zu zeigen, dass das orale GLP-1-Analogon Semaglutide aus CV Sicht gleichwertig zu anderen GLP-1-Rezeptoragonisten ist. Schließlich würde der Preis eine Rolle spielen.
Helmut Schatz
Literatur
Mansoor Husain et al., for the PIONEER 6 investigators: Oral semaglutide and cardiovascular outcomes in patients with type 2 diabetes. New Engl. J. Med. online, June 11, 2019. DOI: 10.1056/NEJMoa1901118
Helmut Schatz: Semaglutide, ein GLP-1-Agonist senkt bei Typ-2-Diabetespatienten das kardiovaskuläre und renale Risiko. DGE-Blogbeitrag vom 19. September 2016
Helmut Schatz: Orales Insulin von Novo Nordisk in Phase II – Studie zwar wirksam, Weiterentwicklung aber wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt. DGE-Blogbeitrag vom 7. März 2019
Sonja Boehm: In den Startlöchern: Erster GLP-1-Agonist als Tablette besteht umfassenden Studientest - schwächelt aber in einem Punkt. https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4907965_print