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Wie ergänzt Telemedizin die Beratung von Menschen mit Diabetes?

Expertenstatement von Dr. med. Simone von Sengbusch, Oberärztin in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des UKSH, Campus Lübeck, und Leiterin der "Mobilen Diabetes-Schulung Schleswig-Holstein" (MDSH), im Rahmen der Pressekonferenz zum Diabetes Kongresses 2019 der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), am 31. Mai 2019 in Berlin.

Virtuelle Diabetesambulanz für Kinder und Jugendliche (ViDiKi)

Dr. med. Simone von Sengbusch "Telemedizin hat viele Gesichter." Das heißt konkret, dass sich hinter diesem Sammelbegriff schon heute viele verschiedene Versorgungsstrukturen und Beratungsmodelle für an Diabetes erkrankte Menschen abbilden lassen: zum Beispiel ein telemedizinisches Konsil oder die videogestützte Ambulanzberatung. Die Grundlagen für diese Art der Telemedizin hat ohne Zweifel die kontinuierliche Glukosemessung (CGM) gelegt. Die kontinuierliche Aufzeichnung von Glukosedaten in Kombination mit Informationen zu Insulin, Kohlenhydraten und Bewegung hat zu einem grundlegend neuen Verständnis der Glukoseströme im Körper und damit der Diabetestherapie geführt.

Die Alarmfunktion für Über- und Unterzuckerungen hat zu einem erhöhten Sicherheitsgefühl bei den Betroffenen geführt, die zuvor immer und zu jeder Zeit mit der Gefahr einer unbemerkten Unterzuckerung leben mussten. Nun stehen die CGM- und Insulindaten gespeichert in einer Software-Cloud zur Verfügung und erlauben Patient und Arzt eine Analyse der Daten zu jedem Zeitpunkt. Voraussetzung ist dabei, dass durch Auslesen der Geräte oder durch automatische Speicherung über eine App die Daten aktiv in eine Softwarelösung übergeführt werden.

Telemedizin ermöglicht also unabhängig von Ort und Zeit dem Arzt einen Blick auf die Daten und die Möglichkeit der Beratung.

Damit bietet sich erst mal die Chance, dass gerade Patientengruppen, die häufigere Beratungen zu ihren Glukosewerten und Therapieeinstellungen brauchen, diese auch ad hoc erhalten könnten. Diese Patientengruppen sind zum Beispiel Schwangere, neu an Diabetes erkrankte und instabil laufende Patienten; vor allem Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes benötigen mindestens einen Termin pro Quartal, deren Anzahl bei Bedarf entsprechend erhöht werden muss. Intensivere Beratung ist nötig während Wachstumsphasen, bei Infekten, nach Diabetesmanifestation, wenn die Eltern lernen müssen, rasch eine Vielzahl von medizinischen Entscheidungen tagtäglich zu treffen, und in der Phase der Pubertät, wenn die Stoffwechsellage sich meist verschlechtert und die Jugendlichen Beratung und Coaching benötigen.

Es gibt in den meisten Ambulanzen angesichts der stark steigenden Patientenzahlen nicht genug Zeitfenster oder auch Fachpersonal für die Beratung. Telemedizin könnte hier eine Lücke füllen, indem kürzere Termine in häufigerer Frequenz und ohne Belastung der Familien durch Fahrten in die Klinik und Wartezeiten durchgeführt werden.

Die Beratung anhand von CGM-Daten kann dabei telefonisch, per E-Mail oder per Videosprechstunde erfolgen. Letztere Variante bietet die Chance, neben Ton nun auch Bildinformation (Gestik, Mimik, Gesamteindruck) zu verwerten, und ist für beide Seiten die einem Gespräch "face to face" am nächsten kommende Beratungsvariante. Die Familien befinden sich zudem in ihrer gewohnten Umgebung, sie haben bildhaft gesprochen ein "Heimspiel" in bekannter Atmosphäre. Die CGM-Daten können vom Arzt im Vorwege mit Einverständnis der Familien aus einer Datencloud geladen, in Ruhe ausgewertet und verschlüsselt per E-Mail zurückgeschickt werden, sodass Familien und Arzt dieselben Informationen zur Verfügung haben.

Die Studie "Virtuelle Diabetesambulanz für Kinder und Jugendliche" (ViDiKi) ist eine vom Innovationsfonds des G-BA geförderte Studie zur Erprobung von Telemedizin bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes. Die Studie startete im Juli 2017 und wird im März 2020 enden. In dieser Studie im Warte-Kontrollgruppen-Design erhalten 240 Kinder zwischen 1 und 16 Jahren aus Schleswig-Holstein und Hamburg monatlich - als Ergänzung zur Regelversorgung - eine Beratung zu ihren CGM-Werten.

Innerhalb der Studie werden ein zertifiziertes Arzt-Video-Portal, verschlüsselte E-Mails und verschlüsselte SMS genutzt. Die Studie ist eine sogenannte "multi-method study", das heißt, dass sowohl eine Untersuchung der Effekte auf die Stoffwechsellage und Lebensqualität stattfindet (quantitative Erhebung), als auch eine große qualitative Studie mit zahlreichen Interviews und Fokusgruppen durchgeführt wird und zusätzlich noch eine gesundheitsökonomische Analyse erfolgt. Diese Studie ist zudem eine "real-life study", das heißt, dass nahezu alle Kinder mit Interesse eingeschlossen werden konnten, unabhängig von CGM-System, Therapieform oder der Qualität der initialen Stoffwechsellage. Sie werden von insgesamt sieben Studienärzten am UKSH Lübeck, UKSH Kiel und dem Städtischen Krankenhaus Kiel betreut. Durch dieses Vorgehen bilden die Studienteilnehmer eine typische Ambulanzstruktur ab, wodurch die Ergebnisse gut übertragbar sein sollten.

Die Studienteilnehmer bewerten Telemedizin überwiegend als sehr positiv; viele würden gern den einen oder anderen Ambulanzkontakt durch Telemedizin ersetzen, aber nicht alle Kontakte. Die körperliche Untersuchung und erweiterte Laboruntersuchungen bzw. apparative Diagnostik können nur in der Klinik/Praxis erfolgen. Der Wunsch vieler Teilnehmer, Rezepte auch online/per Post zu erhalten, ist die Konsequenz aus Telemedizin, denn sie müssen noch - auch bei monatlicher telemedizinischer Betreuung - jedes Quartal für ihre Rezepte in die Klinik bzw. Praxis kommen. Der größte Benefit aus Sicht der Familien ist neben der häufigeren Insulinanpassung in dieser besonders vulnerablen Patientengruppe (Kinder) die Einsparung von Wege- und Wartezeiten für Arztbesuche.

Die Evaluation der Studie ViDiKi erfolgt über das Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie (ISE) der Universität zu Lübeck (Dir. Prof. Dr. Katalinic), geleitet wird die Evaluation von Dr. jur. Dr. rer. hum. biol. Fabian-Simon Frielitz.

Der Konsortialpartner ist die AOK NORDWEST, weitere 15 Krankenkassen sind initial dem Vertrag beigetreten.

ViDiKi: gefördertes Projekt aus Mitteln des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss, Förderkennzeichen 01NVF16023

Zusammenfassung:

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Quellen

Frielitz F, Storm N, Hiort O, Katalinic A, von Sengbusch S. Die Erstellung eines Datenschutzkonzeptes: eine Anleitung für telemedizinische Versorgungsprojekte. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz. April 2019, Volume 62, Issue 4, 479-485

Von Sengbusch S, Forster A. Das Projekt Virtuelle Diabetesambulanz für Kinder und Jugendliche - ViDiKi. Gesundh Sozialpolit 2017; 71:27-31

Bildunterschrift: Dr. med. Simone von Sengbusch
Bildquelle: DDG/Deckbar

zuletzt bearbeitet: 22.06.2019 nach oben

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