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Diabetes und Polyzystisches Ovarsyndrom (PCOS)
Expertenstatement von Privatdozentin Dr. med. Susanne Reger-Tan, Oberärztin der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen am Universitätsklinikum Essen, im Rahmen der Pressekonferenz zum Diabetes Kongresses 2019 der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), am 30. Mai 2019 in Berlin.Wenn zwei Stoffwechselkrankheiten zusammenkommen
Der Diabetes bärtiger Frauen - ein Zusammenhang zwischen Störungen des Zuckerstoffwechsels und der Geschlechtshormone bei der Frau - wurde bereits früh erkannt und von Achard und Thiers sehr bildlich als "diabete des femmes à barbe" beschriebe.[1] Der heute verwendete Begriff des polyzystischen Ovarsyndroms (PCOS) lässt den Zusammenhang zum Diabetes nicht mehr auf den ersten Blick erkennen. Umso wichtiger ist eine entsprechende Aufklärung der betroffenen Frauen über ihr hohes Diabetes-Risiko. Wir Ärzte sollten über die Behandlung der aktuellen Beschwerden hinaus unser Augenmerk auch auf die konsequente Abklärung, Überwachung und gegebenenfalls Therapie der metabolischen Komplikationen des PCOS richten.
Eine von acht jungen Frauen ist von PCOS betroffen. Das PCOS stellt mit einer Prävalenz von 15 Prozent dementsprechend die häufigste Stoffwechselstörung von Frauen im fertilen Alter dar. Beim PCOS ist der Geschlechtshormonhaushalt außer Balance. Ein Überschuss an männlichen Hormonen führt zu zum Teil erheblichen äußerlichen Veränderungen und zur Hemmung des Eisprungs. Entsprechend dem für Männer typischen Verteilungsmuster wächst die Körperbehaarung und fällt das Kopfhaar aus. Die Menstruationsblutung tritt verspätet ein oder fällt gar ganz aus, sodass auch die Fruchtbarkeit eingeschränkt sein kann. Betroffene Frauen fühlen sich oft in ihrer Weiblichkeit gestört und weisen einen hohen Leidensdruck auf. Sie sind zudem häufig übergewichtig. Dies ist nicht allein wie häufig fälschlich angenommen selbst verschuldet, sondern auch dem PCOS zuzuschreiben. Während beispielsweise in der weiblichen Bevölkerung ein bestimmtes Adipositas-Risikogen mit einem BMI-Anstieg um 0,5 kg/m² assoziiert ist, zeigt das gleiche Risikogen bei Frauen mit PCOS einen doppelt so großen Effekt.[2,3]
Ein wesentliches Charakteristikum des PCOS ist die dem Syndrom zugrunde liegende Insulinresistenz. Die reduzierte Empfindlichkeit der Körperzellen, auf Insulin zu reagieren und so den Zuckerstoffwechsel optimal zu regulieren, führt zu einem Überschuss an Insulin im Blut. Dies stimuliert wiederum Gewichtszunahme und die Bildung männlicher Hormone. Die Insulinresistenz aggraviert nicht nur die äußeren Veränderungen und Übergewicht, sondern fördert die Entstehung metabolischer Erkrankungen wie die eines Typ-2-Diabetes sowie eines Schwangerschaftsdiabetes. Das Risiko für eine PCOS-betroffene Frau, einen Diabetes zu entwickeln, ist 2- bis 9-fach erhöht.[4] Darüber hinaus entwickeln Frauen mit PCOS 4-mal häufiger eine nichtalkoholische Leberverfettung[5] mit erhöhtem Risiko für eine nichtalkoholische Steatohepatitis, Leberzirrhose und ein hepatozelluläres Karzinom.[6]
Die aktuell veröffentlichten Leitlinien zu Diagnose und Management des PCOS weisen explizit auf dieses metabolische Risiko hin und spezifizieren die Empfehlungen zum Diabetes-Screening und zur Therapie bei Frauen mit PCOS[7]; die ebenfalls aktuelle S3-Leitlinie Gestationsdiabetes der DDG und DGGG weist Frauen mit PCOS als Risikogruppe aus und gibt konkrete Empfehlungen zur frühen Detektion des Diabetes in der Schwangerschaft[8].
Fazit: Das PCOS ist eine häufige nicht konsequent beachtete Stoffwechselstörung der Frau, die Fertilität, äußerliches Erscheinungsbild, aber auch das Risiko für metabolische Erkrankungen wie Diabetes mellitus trotz des jungen Alters negativ beeinflusst. Die Abklärung aller Facetten des PCOS ist für die betroffenen Frauen in Hinsicht auf Lebensqualität und Morbidität relevant, sodass ein umfassendes Screening erfolgen sollte.
Ausblick: Aktuell stellt Metformin einen wesentlichen Baustein der Therapie des PCOS dar. Es senkt das Körpergewicht und das Risiko für Frühfehlgeburten und Frühgeburtlichkeit[9]. Aktuelle Daten über den Einsatz neuer Antidiabetika beim PCOS, insbesondere der Gruppe der Inkretine, zeigen ein vielversprechendes Ansprechen des Körpergewichts, des viszeralen Fettes, der nichtalkoholischen Steatohepatitis, aber auch der Ovulationsrate, sodass für Frauen mit PCOS Hoffnung besteht, in Zukunft PCOS optimaler zu behandelneins[10-13].
(Es gilt das gesprochene Wort!)
Quellen
Achard Ch, Thiers J. Le virilisme pilaire et son association à l'insuffisance glycolytique (Diabète des femmes à barbe). Bull Acad Nat Med 1921; 86: 51-66.
Tan S, Scherag A, Janssen OE, Hahn S, Lahner H, Dietz T, Scherag S, Grallert H, Vogel CI, Kimmig R, Illig T, Mann K, Hebebrand J, Hinney A. Large effects on body mass index and insulin resistance of fat mass and obesity associated gene (FTO) variants in patients with polycystic ovary syndrome (PCOS). BMC Med Genet. 2010 Jan 21;11:12.
Wojciechowski P, Lipowska A, Rys P, Ewens KG, Franks S, Tan S, Lerchbaum E, Vcelak J, Attaoua R, Straczkowski M, Azziz R, Barber TM, Hinney A, Obermayer-Pietsch B, Lukasova P, Bendlova B, Grigorescu F, Kowalska I, Goodarzi MO; GIANT Consortium, Strauss JF 3rd, McCarthy MI, Malecki MT. Impact of FTO genotypes on BMI and weight in polycystic ovary syndrome: a systematic review and meta-analysis. Diabetologia. 2012 Oct;55(10):2636-2645.
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S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge
Løvvik TS, Carlsen SM, Salvesen Ø, Steffensen B, Bixo M, Gómez-Real F, Lønnebotn M, Hestvold KV, Zabielska R, Hirschberg AL, Trouva A, Thorarinsdottir S, Hjelle S, Berg AH, Andræ F, Poromaa IS, Mohlin J, Underdal M, Vanky E. Use of metformin to treat pregnant women with polycystic ovary syndrome (PregMet2): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Diabetes Endocrinol. 2019 Apr;7(4):256-266.
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Bildunterschrift: Privatdozentin Dr. med. Susanne Reger-Tan
Bildquelle: Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)
Foto: Dirk Deckbar