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Erhöhtes Herzinfarktrisiko bei Menschen aus sozial benachteiligten Bremer Stadtteilen

Gut 20 Prozent hatten Diabetes und noch mehr waren fettleibig

Bremerinnen und Bremer aus sozial benachteiligten Stadtteilen wie Gröpelingen und Tenever erleiden deutlich häufiger einen Herzinfarkt als Personen aus Vierteln mit hohem sozialem Status wie Borgfeld und Schwachhausen. Dies ergab eine Datenanalyse des Bremer Instituts für Herz- und Kreislaufforschung (BIHKF) der Stiftung Bremer Herzen am Klinikum Links der Weser und des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie - BIPS. Ein weiteres Ergebnis der Studie: Bei der akuten Behandlung von Betroffenen scheint der soziale Hintergrund keine Rolle zu spielen.

Immer wieder steht er im Fokus von Berichterstattung und Forschung - der "SoS". Und das völlig zu Recht. Denn wie zahlreiche wissenschaftliche Studien aus der ganzen Welt belegen, hat der sozioökonomische Status (SoS) - ein Sammelbegriff für diverse Merkmale des Lebens eines Menschen wie etwa Einkommen, Bildungsgrad oder Beruf - ganz erheblichen Einfluss zum Beispiel auf die Gesundheit.

Auch in Bremen ist der SoS seit vielen Jahren ein breit diskutiertes Thema in der gesellschaftlichen Debatte. Um eine fundierte Diskussionsgrundlage zu schaffen, hatte der Senat erstmals 1993 einen eigenen sozialen Benachteiligungsindex aus mehr als 20 Sozialindikatoren für die Bremer Ortsteile entwickelt und zuletzt 2009 aktualisiert. In die Berechnung flossen etwa Schulabschlüsse, Wahlbeteiligung und Arbeitslosenziffer ein. Das sich ergebende Bild ist deutlich: So ist die Benachteiligung etwa in den Ortsteilen Gröpelingen, Tenever und Ohlenhof besonders ausgeprägt, während die Ortsteile Oberneuland, Borgfeld und Schwachhausen die geringste Benachteiligung zeigen.

Eine Gruppe aus Medizinerinnen und Medizinern des Bremer Instituts für Herz- und Kreislaufforschung (BIHKF) der Stiftung Bremer Herzen am Klinikum Links der Weser und Epidemiologinnen und Epidemiologen des BIPS wollte nun folgende Frage klären: Welchen Einfluss hat das Wohnviertel und somit der soziale Status auf das Herzinfarktrisiko von Bremerinnen und Bremern?

Dazu führten sie zwei Datensätze zusammen: die Benachteiligungsindizes des Senats und die Daten aus dem Bremer STEMI-Register des Herzzentrums am Klinikum Links der Weser. Darin dokumentiert sind die Behandlungsdaten sämtlicher Bremerinnen und Bremer, die seit 2006 einen Herzinfarkt (genauer: einen ST-Hebungs-Myokardinfarkt - STEMI) erlitten haben. "Zwischen Januar 2006 und Dezember 2015 haben insgesamt 3.46 Bremerinnen und Bremer erstmals einen STEMI erlitten. Davon waren 71 % Männer, 44 % der Betroffenen waren aktive Raucher, 21 % hatten Diabetes und 23 % waren fettleibig", sagen die Erstautoren der Studie Dr. Johannes Schmucker und Dr. Susanne Seide vom BIHKF am Klinikum Links der Weser. "Mithilfe der Postleitzahlen der betroffenen Personen haben wir diese den verschiedenen Benachteiligungsindizes zugeordnet und in vier Gruppen eingeteilt - von Gruppe 1 mit hohem sozialen Status bis Gruppe 4 mit niedrigem sozialen Status."

In der darauffolgenden Analyse konnten die Forscherinnen und Forscher von BIHKF und BIPS einen ausgeprägten sozialen Gradienten nachweisen. "Am stärksten ausgeprägt ist dieser Gradient bei jüngeren Patientinnen und Patienten unter 50 Jahren. Hier ist die Häufigkeit von Infarkten in Gruppe 4 mit niedrigem sozialem Status im Vergleich zur Gruppe 1 mit hohem Status mehr als 2-fach erhöht - mit fast identischen Werten für Frauen und Männer", sagt Johannes Schmucker. "Ein Grund dafür könnten die Risikofaktoren sein. So waren die Betroffenen der Gruppe 4 deutlich häufiger aktive Raucher und/oder stark übergewichtig."

Ein dagegen positiv zu bewertendes Ergebnis der Studie: Sowohl bei Art und Qualität der Behandlung im Krankenhaus als auch bei der verstreichenden Zeit vom Eintreffen im Krankenhaus bis zum lebensrettenden Erweitern der betroffenen Gefäße mittels Ballonkatheter - die sogenannte "door-to-balloon-Zeit" - spielt der soziale Status in Bremen keine Rolle. "Dieses Ergebnis steht im Kontrast zu Studien etwa aus Finnland, Kanada oder den USA. In diesen Ländern gibt es durchaus Unterschiede. So werden laut einer Studie aus den USA Menschen afro-amerikanischer Herkunft seltener mit einer perkutanen koronaren Intervention mittels Ballonkatheter behandelt und auch die door-to-balloon-Zeiten sind länger", erläutert Susanne Seide.

Bei der langfristigen Prognose der Betroffenen zeigt sich wiederum ein deutliches soziales Gefälle. So ist das Sterblichkeitsrisiko für Personen unter 50 Jahren aus der Gruppe 4 innerhalb der folgenden 5 Jahre nach dem Infarkt fast 6 Mal höher als bei Angehörigen der Gruppe 1. Ähnliches zeigt sich beim Risiko für Komplikationen, das in den 5 Jahren nach dem Infarkt fast 5-fach höher liegt.

"Insgesamt beobachten wir also, dass Bremerinnen und Bremer aus sozial benachteiligten Ortsteilen häufiger einen Herzinfarkt erleiden - besonders wenn sie jünger als 50 Jahre sind - häufiger rauchen und stark übergewichtig sind und nach dem Infarkt eine schlechtere Prognose haben. Dagegen zeigen sich bei der Behandlung im Krankenhaus keine signifikanten Unterschiede", schließt Johannes Schmucker. "Präventionsprogramme vor und nach dem Infarkt sollten also schwerpunktmäßig in sozial benachteiligten Ortsteilen stattfinden."

Die Studie "Socially disadvantaged city districts show a higher incidence of acute ST-elevation myocardial infarctions with elevated cardiovascular risk factors and worse prognosis / Schmucker und Seide et al.? ist erschienen in BMC Cardiovascular Disorders.

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Das BIPS ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, zu der 93 selbstständige Forschungseinrichtungen gehören. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 18.700 Personen, darunter 9.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,8 Milliarden Euro.

zuletzt bearbeitet: 18.01.2018 nach oben

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