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Pubertät oder Adoleszenz

Abstract zum Vortrag von Dr. med. Eva-Maria Fach, Diabetologin DDG und Tagungspräsidentin, im Rahmen der Pressekonferenz zur 9. Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 6. November 2015 in Düsseldorf.

Begleitung auf dem Weg von Jugendlichen mit Diabetes zum Erwachsenen

Dr. med. Eva-Maria Fach Bundesweit leben derzeit circa 30.500 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren mit Diabetes mellitus Typ 1. Jährlich erkranken in dieser Altersstruktur in etwa 2.100 bis 2.600 neu an Diabetes mellitus Typ 1. Diese Erkrankung ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter. Der Alltag dreht sich bei den Kindern um Insulinspritzen, Blutzuckermessen, Kohlenhydratberechnungen und Einschätzen der körperlichen Bewegung. Ohne die Hilfe der Eltern beziehungsweise Großeltern wären die Kinder heillos überfordert. Die Erziehungsberechtigten müssen versuchen, mit liebevoller Konsequenz ihre Kinder anzuleiten und zu begleiten. Kinderdiabetologen und Diabetesberater/-innen helfen ihnen, in die Doppelrolle liebevoller Erzieher und konsequenter Therapeut zu wachsen. Dabei müssen die Eltern selbst sich mit der lebenslangen Erkrankung ihrer Kinder auseinandersetzen und akzeptieren lernen. Hierzu wünschen sie sich oft psychologische Hilfestellungen.

Das Kind selbst kommt im Allgemeinen gut mit der Erkrankung zurecht und kann schon im Vorschulalter die Blutzuckerkontrollen und das Insulinspritzen übernehmen. Es wäre gut, Kindergärten und Schulen mit einzubinden. Hier sind wir in der Regel von einer Selbstverständlichkeit entfernt.

Schwieriger wird die Situation, wenn die Kinder in die Pubertät kommen. Als Pubertät bezeichnet man alle biologischen und endokrinologischen Vorgänge im Jugendalter, die im Übergang vom Kind zum geschlechtsreifen Erwachsenen ablaufen. Die Jugendlichen werden häufig von den Eltern schon zu Beginn der Pubertät in die Eigenverantwortung entlassen, was von diesen oft auch gewünscht wird. Andererseits ist in dieser Phase die Behandlung des Diabetes mellitus ein sehr wichtiges Thema, da die unterschiedlichen hormonellen Ausschüttungen in den Jahren der Pubertät massive Blutzuckerschwankungen hervorrufen.

Die psychischen Veränderungen, deren Beginn auch in diese Zeit fällt und die hin bis zur seelischen Reife die Pubertät um circa sieben Jahre überschreiten, bezeichnet man als Adoleszenz. Die Myelinisierung des Gehirns bedeutet einen Reifungsprozess, der für das Leben von hoher Bedeutung ist. Sie startet ab der Geburt und führt dazu, dass die Reizleitungsgeschwindigkeit bis zum Ende der Adoleszenz, also mit circa 25 Jahren, um den Faktor 100 beschleunigt wird. Die neurobiologischen Veränderungen im Gehirn während dieser Zeitspanne werden durch vier Vorgänge gekennzeichnet, die bei etwa 30 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Alltagsbewältigung und damit auch die eigenverantwortliche Diabetestherapie gefährden.

  1. Aufgrund der nicht gleichmäßigen Myelinisierung kann es im Alltag in Situationen von entstehenden Affekten zu unüberlegtem Risikoverhalten mit eingeschränkter Risikoabschätzung kommen.

  2. Die fortschreitende Myelinisierung bedeutet auch eine endgültige, also lebenslange Festlegung auf schnellere Bahnen und den Abbau von selten benutzten Bahnen. Dies bedeutet einen fundamentalen Umbau der Hirnorganisation innerhalb weniger Jahre. Die ab der Adoleszenz neu erworbenen Neigungen und Fähigkeiten prägen sich damit dauerhaft ein. Daher haben die in dieser Zeit stattgefundenen Schulungen und die Wahrung und Erlernung der Selbstversorgung bei Diabetes einen bedeutsamen Langzeiteffekt, trotz aller emotionalen Labilität im Jugendalter.

  3. Durch weitere Veränderungen im Gehirn kommt es in der Adoleszenz zu einer dünneren Erlebnisintensität. Das Bedürfnis der Jugendlichen zu zum Beispiel lauter Musik, "Sensation-Seeking-Verhalten" und Drogenkonsum hat also eine biologische "Begründung", steht allerdings in einem deutlichen Kontrast zu der Notwendigkeit einer weiterhin gelungenen Diabetesselbstversorgung.

  4. Weiterhin kann es durch die Veränderungen im Gehirn zum Auftreten wahnhafter Gedanken und häufig zu unverständlichem Handeln der Jugendlichen kommen, was sich bei der Weiterentwicklung der neurobiologischen Veränderungen im Gehirn in der Regel normalisiert.

Es ist für die Umgebung der Jugendlichen, insbesondere für die Eltern und das Diabetesteam, hilfreich und wichtig, ob der neurobiologischen Veränderungen zu wissen und somit Verständnis für das Verhalten der Jugendlichen aufzubringen und sie auf dem Weg zum Erwachsenen erfolgreich zu begleiten.

Eine wichtige Station ist für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Weiterführung der Diabetesbegleitung in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis. Hier sollte darauf geachtet werden, dass der junge Diabetiker nicht zwischen die Raster fällt und tatsächlich in der Erwachsenendiabetologie ankommt.

Hier ist auch dafür zu sorgen, dass zusätzliche Fachärzte bei weiteren psychiatrischen und somatischen Erkrankungen mit zurate gezogen werden. Die ohnehin zwischen dem 16. und 25. Lebensjahr auf jeden Menschen einstürmenden neuen Aufgaben sind für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Diabetes nochmals aufgrund der Erkrankung erschwert. Auch kommt ihnen zu diesem Zeitpunkt noch mal ins Bewusstsein: "Ich bin Diabetiker - lebenslang."

Hier ist es sicher wichtig, rechtzeitig mit guter Aufklärung und Beratung auf dem Weg ins Berufsleben und bei allen anderen Fragen, die mit dem Erwachsenenleben zusammenhängen, Hilfestellungen zu geben.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Bildunterschrift: Dr. med. Eva-Maria Fach
Bildquelle: Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)

zuletzt bearbeitet: 07.11.2015 nach oben

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