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Diabetes-Epidemie lässt sich nicht durch Leugnen des Problems bekämpfen

Einsparungen bei der Prävention sind kein adäquates Mittel zur Senkung der hohen Folgekosten kardiovaskulärer Komplikationen des Diabetes mellitus

Schon lange ist bekannt, dass die Zahl der Diabetiker, vor allem der Typ-2-Diabetiker, rasant im Ansteigen begriffen ist. Während man zur Zeit von etwa 150 Millionen Menschen mit Diabetes weltweit ausgeht, rechnet die Weltgesundheitsorganisation WHO mit einer Verdopplung auf 300 Millionen bis zum Jahre 2025. Aber nicht nur im quantitativen Anstieg der Diabetikerzahlen liegt eine große Herausforderung für die Gesundheitspolitik der stark betroffenen westeuropäischen Staaten.

Das Problem "Diabetes mellitus" erfordert auch eine qualitativ verbesserte, völlig neu gewichtete Versorgung jedes einzelnen Menschen mit Diabetes, wenn es uns nicht über den Kopf wachsen soll. Denn neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen: Der Typ-2-Diabetes, der mindestens 90 Prozent aller Diabetes-Erkrankungen ausmacht, ist eben nicht nur eine harmlose Alterserscheinung mit erhöhten Blutzuckerwerten, sondern von Beginn an - bereits Jahre vor der Erstmanifestation - eine ernst zu nehmende Erkrankung des Herzens und aller Blutgefäße.

Behandlung der Typ-2-Diabetiker völlig unzureichend

Aktuelle Daten aus wissenschaftlich abgesicherten Studien zeigen, dass Diabetiker mit den gleichen Präventionsmaßnahmen für Herz und Kreislauf behandelt werden müssen wie Nicht-Diabetiker, die bereits einen Herzinfarkt erlebt und überlebt haben. Dies betonte Prof. Dr. med. Wolfgang Motz, Ärztlicher Direktor des Klinikums Karlsburg, Herz- und Diabeteszentrum Mecklenburg-Vorpommern, auf der Pressekonferenz "Disease-Management beim herzkranken Diabetiker - Krankheits-Management oder Kosten-Management?" im Rahmen des II. Symposiums "Der herzkranke Diabetiker" im Dezember 2002 in Berlin.

Während schon heute die Finanzlage der Krankenkassen vor allem durch den Anstieg der Diabetikerzahlen überaus angespannt ist, ist in den kommenden Jahren eine Potenzierung des Problems zu erwarten, wenn eine wachsende Zahl von Diabetikern ihr Recht auf adäquate Versorgung nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft erkennen und einfordern wird. Denn "die Deutschen sind keineswegs medizinisch überversorgt", konstatierte Motz und führte dies an erschreckenden Konsequenzen der mangelnden Diabetikerversorgung aus:
Jährlich erblinden in Deutschland 6.000 Typ-2-Diabetiker, 8.000 werden dialysepflichtig, bei 28.000 werden Gliedmaßen amputiert und 27.000 bekommen einen Herzinfarkt.

"Diese Zahlen sind in der Tat alarmierend und haben Aufforderungscharakter", so Motz. Die Behandlung der Typ-2-Diabetiker sei heute völlig unzureichend. Er verlangte eine Umsetzung der aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse in Behandlungsstrategien und eine angemessene Berücksichtigung der Herz-Kreislauf-Komplikationen des Diabetes beim Entwurf solcher Konzepte.

Typ-2-Diabetes: Spürbare Behandlungserfolge nicht erkennbar

Prof. Dr. med. Wolfgang Kerner, Klinikum Karlsburg, Direktor der Klinik für Diabetes und Stoffwechselkrankheiten, betonte, dass die gesundheitspolitische Bedeutung des Typ-2-Diabetes mellitus in ihrem ganzen Ausmaß erst im Laufe der 90er Jahre deutlich geworden sei. Kerner verwies auf die "St.-Vincent-Deklaration". Bei einem Treffen im italienischen St. Vincent hatten Ärzte und Diabetiker aus ganz Europa bereits am 12. Oktober 1989 konkrete Forderungen formuliert, die Folgekomplikationen des Diabetes mellitus drastisch zu reduzieren:

Diese Forderungen, so Kerner, führten Anfang der 90er Jahre in krasser Weise vor Augen, dass die Probleme auf nationaler Ebene noch nicht einmal in angemessener Weise statistisch erfasst worden waren.

Spürbare Behandlungserfolge oder gar ein Erreichen der Ziele der St.-Vincent-Deklaration seien bis heute erst recht in keinem Staat zu entdecken. Es habe zwar, so Kerner, beispielsweise in Deutschland hoffnungsvolle Ansätze in Form verschiedener Diabetikerbetreuungs-Vereinbarungen gegeben, Modelle, welche auch die Schnittstellen der verschiedenen Versorgungsebenen der Diabetiker berücksichtigt hatten.

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Zweifel an Disease-Management-Programmen berechtigt

"Im Jahre 2000 nahm sich nun der Sachverständigenbeirat im Gesundheitswesen der Versorgung chronisch Kranker an, darunter auch der Diabetiker", so Kerner. Dieser habe die Gesamtheit der vorhandenen Modelle aber nicht weiterentwickelt und vereinheitlicht, sondern stattdessen als "Kleinstaaterei" und "Flickenteppich" kritisiert und einfach vom Tisch gewischt. Damit sei das Problem aber keineswegs gelöst.

Kerner befürwortete zwar ein gemeinsames, koordiniertes Vorgehen auf Bundesebene, dies dürfe aber nicht dazu führen, dass man das Kind mit dem Bade ausschüttet und alle bisherigen Betreuungsmodelle über Bord wirft. Den kürzlich beschlossenen Disease Management Programmen (DMP) steht er eher skeptisch gegenüber: "Es ist zu bezweifeln, dass dadurch tatsächlich die große Wende in der Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus eintreten wird."

Die allerorts vorhandenen Zweifel an einer angemessenen Versorgung im Rahmen der künftigen Disease Management Programme werden auch durch Bestrebungen genährt, anerkannte Behandlungskriterien aufzuweichen und beispielsweise für den Langzeit-Blutzuckerwert HbA1c Werte bis hinauf zu 8,0 Prozent (!) als völlig ausreichend einzustufen, anstatt auf Werten unter 6,5 bis 7,0 Prozent zu insistieren, wie es wissenschaftlich abgesichert wäre.

Nur eine frühzeitige Diabetes-Behandlung führt zur Kostensenkung

Die Umsetzung aktueller, durch wissenschaftliche Studien belegter Behandlungsempfehlungen "bedeutet zwar ein höheres Kostenvolumen, es ist aber gut belegt, dass die aggressive Behandlung des Diabetikers im Vergleich zum Nicht-Diabetiker effektiver ist und zu einer stärkeren Absenkung von kardiovaskulären Komplikationen führt", erklärte Prof. Dr. med. Dieter Horstkotte, Bad Oeynhausen, Direktor der Kardiologischen Klinik, Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen.

Durch die Gabe von Insulin- und Glukose-Infusionen könne beispielsweise das Akutkomplikationsrisiko des akuten Myokardinfarkts beim Typ-2-Diabetiker, welches im Vergleich zur Normalbevölkerung deutlich höher liege, weitgehend dem des Nicht-Diabetikers angeglichen werden. So sei es möglich, die Prognose der betroffenen Diabetiker über einen Behandlungszeitraum von drei bis vier Jahren anhaltend zu verbessern, ergänzte er. Die Umsetzung der einschlägigen aktuellen Studienergebnisse stehe allerdings in vielen Ländern, so auch in Deutschland, noch aus.

Außerdem ließe sich durch konsequent optimale Einstellung nicht nur des Blutzuckers, sondern auch des Blutdrucks und der Lipidspiegel vor einer Bypass-Operation oder einem Eingriff im Herzkatheterlabor die Komplikationsrate dieser Interventionsmaßnahmen deutlich verringern. Aber selbst die besten Akutmaßnahmen bei Diabetikern mit kardiovaskulären Ereignissen seien nicht imstande, das langfristig höhere Risiko des Diabetikers auf das eines Stoffwechselgesunden abzusenken. Nach etwa drei Jahren seien die Komplikationsraten beim Typ-2-Diabetiker schließlich deutlich erhöht und die Sterberate nehme zu.

Horstkotte resümierte: "Eine Reduktion der Gesamtkosten in der Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen beim Typ-2-Diabetiker kann nur dadurch erreicht werden, dass durch eine Verbesserung der Prävention und Einleitung einer Behandlung in den Frühstadien der Stoffwechselstörung die Manifestation des Typ-2-Diabetes zeitlich hinausgeschoben wird und durch eine konsequente Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren die Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System reduziert werden."

Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist eine Chance.

"Vom medizinischen Fortschritt, der sich als günstig für die nichtdiabetische Bevölkerung erwiesen hat, haben zuckerkranke Menschen offensichtlich nur unzureichend profitiert", kritisierte Prof. Dr. med. Diethelm Tschöpe, Düsseldorf, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung "Der herzkranke Diabetiker" (DHD). Er betonte demgegenüber: "Diabetes ist eine Herz- und Gefäßkrankheit. Die Unterbrechung der Blutzufuhr an lebenswichtige Organe stellt das eigentliche Erkrankungspotential dar, das Lebensqualität und Prognose der Patienten bestimmt." Es werde nun darauf ankommen, die Neustrukturierung unseres Gesundheitssystems zu nutzen, um zu einer breiten interdisziplinären Zusammenarbeit der beteiligten Disziplinen und Instanzen zu kommen, erklärte er.

In einem gemeinsamen Bulletin fordern die Herz- und Diabeteszentren Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern sowie die Stiftung "Der herzkranke Diabetiker"

Die einleitende Feststellung des Bulletins bringt die Gesamtproblematik auf den Punkt: "Managed Care ist eine Chance, aber nur wenn die Probleme des Patienten anerkannt sind und im Mittelpunkt stehen."

zuletzt bearbeitet: 09.12.2002 nach oben

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