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Das Disease-Management-Programm Diabetes bringt kaum Fortschritte für die Behandlung
Kompetenz der wissenschaftlichen Fachgesellschaften wurde von den Krankenkassen weitgehend ignoriert
Die Grundlagen für das Disease Management Programm Diabetes mellitus Typ 2, die vom Bundesgesundheitsministerium zum 1. Juli in Kraft gesetzt wurden, werden wohl kaum zu einer Verbesserung der Versorgung der mehr als sechs Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland beitragen.
Der Grund: Die vom Bundesgesundheitsministerium festgelegten Anforderungen für die Behandlungsprogramme legen keine neuen Ansätze in der Versorgung von Menschen mit einem Typ-2-Diabetes vor und in bestimmten Bereichen zeigt sich sogar ein deutlicher Rückschritt in medizinischen Leistungen.
So soll ein Mikroalbuminurie-Test, mit dem im Krankheitsverlauf frühzeitig eine Nierenschädigung sicher erkennbar ist, nur dann durchgeführt werden, wenn bereits eine sichtbare Retinopathie aufgetreten ist. Dies hat mit der vom Gesetzgeber geforderten Prävention diabetischer Komplikationen oder deren frühzeitige Erkennung und adäquaten und effizienten, sowie kostensparenden Behandlung nichts zu tun. Die vom Ministerium festgelegten Anforderungen werden darüber hinaus eine Behandlung von Diabetikern auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse nur in Ausnahmefällen befürworten. Es werden Therapieprinzipien empfohlen, die bei vielen Patienten bereits kontraindiziert sind.
Das Bundesgesundheitsministerium hat in der vergangenen Woche mit der "4. Verordnung zur Änderung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung" die Voraussetzungen für die Einführung von Disease Management Programmen für Diabetes mellitus Typ 2 geschaffen. Die Verordnung regelt die Anforderungen, die die Programme erfüllen müssen, um durch das Bundesversicherungsamt zugelassen zu werden. Auf dieser Grundlage können dann die gesetzlichen Krankenkassen mit Kassenärztlichen Vereinigungen, einzelnen Ärzten und anderen Leistungserbringern Verträge über eine strukturierte Behandlung chronisch Kranker abschließen.
Durch die Verknüpfung der Disease Management Programme mit dem Risikostrukturausgleich der gesetzlichen Krankenversicherung stehen bei vielen Krankenkassen offensichtlich wirtschaftliche Interessen im Vordergrund. Mit Hilfe der Disease Management Programme werden jährlich mehrere Milliarden Euro zwischen den Kassen verschoben. Um Ausgleichszahlungen aus dem Risikostrukturausgleich zu erhalten, müssen die Krankenkassen möglichst viele Teilnehmer für die Behandlungsprogramme gewinnen. Die Behandlung sollte aber möglichst wenig kosten. Daher werden die Anforderungen an die Programme gering sein und werden nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen genügen. Eine Verbesserung der Versorgung ist deshalb nicht zu erwarten.
Die Rahmenbedingungen für die Behandlungsprogramme wurden unter Federführung der AOK vom Koordinierungsausschuss festgelegt, in dem die Spitzenverbände der Krankenkassen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Bundesärztekammer und die Krankenhausgesellschaft entscheiden. Der fachliche Rat und die Kompetenz des Deutschen Diabetiker Bundes (DDB), der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) mit mehr als 6.400 Mitgliedern und anderer wissenschaftlicher Fachgesellschaften, sowie die entsprechenden Berufsverbände wurden von diesem Gremium bis zum Schluss weitgehend ignoriert.
Vor diesem Hintergrund hatte die DDG im Mai die "Nationale Versorgungs-Leitlinie" Diabetes mellitus Typ 2 vorgelegt. Dabei handelt es sich um ein evidenzbasiertes Konsensuspapier der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, der Fachkommission Diabetes Sachsen, der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und der Bundesärztekammer. Die Bundesärztekammer hatte des weiteren auch die Schirmherrschaft für die Erstellung der Nationalen Versorgungsleitlinien Diabetes mellitus Typ 2 übernommen.
Zusätzlich hatte die DDG Praxis-Leitlinien publiziert. In diesen Leitlinien wird das gesicherte Wissen zur bestmöglichen Behandlung von Menschen mit Diabetes mellitus in konkrete Handlungsanweisungen umgesetzt.
Das vom Bundesgesundheitsministerium festgelegte Anforderungsprofil für das Disease Management Programm Diabetes bleibt im Vergleich dazu hinter der "Nationalen Versorgungs-Leitlinie" Diabetes mellitus Typ 2 und hinter den Praxis-Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft zurück.
Fazit:
Die vom Bundesgesundheitsministerium festgelegten Anforderungen für das Disease Management Programm Diabetes Typ 2 führen aus ärztlich-wissenschaftlicher Sicht nicht zu einer besseren Versorgung von Menschen mit Diabetes, weil
- nationale und internationale Leitlinien in wesentlichen Teilen nicht berücksichtigt wurden.
- der Patient und die Patientenorganisation nicht in die Entwicklung der Anforderungen für Disease Management Programme aktiv eingebunden wurden.
- eine integrierte Betreuung innerhalb der verschiedenen Versorgungsstufen und Fachdisziplinen nicht abgebildet und organisiert wird und damit ein koordinierter Behandlungsansatz fehlt.
- Dokumentation, Qualitätssicherung und Evaluation, sowie Datenfluss und Datenschutz ungenügend geregelt oder völlig unzureichend sind.
- der bürokratische Aufwand für das Disease Management Programm jährlich schätzungsweise fünf Milliarden Euroverschlingen wird. Diese Gelder werden für die Versorgung fehlen.
- ärztliche Aufgaben von Nichtärzten (z. B. Krankenkassen oder Dritte) übernommen werden sollen.
Die Presseerklärung wird von den folgenden Organisationen unterstützt und getragen:
- Deutsche Diabetes-Gesellschaft
- Berufsverband Deutscher Diabetologen
- Bundesverband Niedergelassener Diabetologen
- Regionalgesellschaften der Deutschen Diabetes-Gesellschaft
- Deutscher Diabetiker Bund
- Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie
- Berufsverband Deutscher Endokrinologen
- Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
- Berufsverband Deutscher Internisten
- Verband der Diabetesberatungs- und Schulungsberufe
- Gesellschaft für Nephrologie
- Deutsche Hochdruck-Liga