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Ärzte wollen Patienten individuell behandeln
Datenübermittlung untergräbt Vertrauen zwischen Arzt und Patient
Die Ärzteschaft hat jeder Form einer "Checklisten-Medizin" eine klare Absage erteilt. "Bevormundungen durch normsetzende Eingriffsverwaltungen und Gesundheitsexperten mit allein ökonomischer Ausrichtung gefährden ein vertrauensvolles Patienten-Arzt-Verhältnis", erklärte der 105. Deutsche Ärztetag in Rostock. Die individuelle Behandlung von Patienten und die Anwendung wissenschaftlich begründeter Leitlinien seien keine Gegensätze, sondern müssten sinnvoll miteinander verbunden werden, forderten die Delegierten.
"Von Leitlinien soll und muss der Arzt abweichen, wenn dafür plausible durch den individuellen Krankheitsfall gebotene Gründe vorliegen", sagte Prof. Dr. Friedrich-Wilhelm Kolkmann, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg und Qualitätssicherungsexperte der Bundesärztekammer. Leitlinien könnten dann zur Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung beitragen, wenn systematisch entwickelte Entscheidungshilfen in der ärztlichen Berufspraxis berücksichtigt würden. Dagegen seien Standards und Normen im Sinne verbindlicher Handlungsanweisungen in der Medizin höchst problematisch und könnten - bei strikter Einhaltung - den ärztlichen Heilauftrag sogar in sein Gegenteil verkehren. "Ärzte behandeln keine Krankheiten, sondern kranke Menschen", so Kolkmann.
Leitlinien können für den Arzt ein wichtiger Handlungskorridor sein, um jederzeit den aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse zu nutzen, heißt es in dem Beschluss des Ärztetages. Jeder Versuch aber, die Behandlung zu standardisieren, ohne Rücksicht auf die Individualität des Patienten und die Therapiefreiheit des Arztes, gehe zwangsläufig zu Lasten der Qualität. "Nicht zuletzt sollen die Vorzüge unseres bisherigen sehr sozialen Gesundheitssystems nicht allein gesundheitsökonomischen Überlegungen geopfert werden", sagte Prof. Dr. Albrecht Encke, Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Die Diskussion über strukturierte Behandlungsprogramme (Disease-Management-Programme/DMP) zur besseren Versorgung chronisch Kranker hat diese Befürchtungen allerdings genährt.
Datenübermittlung untergräbt Vertrauen zwischen Arzt und Patient
Darüber hinaus stellte der Ärztetag klar, dass weder die Übermittlung von Befunddaten noch die Information der Krankenkasse über das Verhalten der einzelnen Patienten durch die behandelnden Ärzte mit dem Selbstverständnis des Arztberufes in Einklang zu bringen sei. Die jetzt in der Reform des Risikostrukturausgleichs beschriebene Übermittlung von patientenbezogenen Daten an die Krankenkassen untergrabe aber die notwendige Vertrauensbasis zwischen Patient und Arzt. "In dieser Form müssen alle Ärzte eine Beteiligung an DMP ablehnen", unterstrich das Ärzteparlament. Der Arzt dürfe nicht zum Erfüllungsgehilfen der Krankenkassen werden. Durch die geplanten DMP-Strukturen bestünde aber die Gefahr einer rein ökonomisch ausgerichteten Steuerung der Behandlung chronisch Kranker.
Deshalb forderten die Delegierten mit Nachdruck, das Vertrauensverhältnis von Patient und Arzt vor externen Eingriffen Dritter zu schützen. Die Bedeutung einer wissenschaftlich begründeten Medizin müsse über unsachgemäßen Eingrenzungen der therapeutischen Möglichkeiten durch inflexible, standardisierte Vorgaben stehen.