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Zehn-Punkte-Programm der BARMER zum Disease Management

BARMER-Fachsymposium: "Disease Management - Qualitätsoffensive für die bessere Versorgung chronisch Kranker - Zwischenbilanz zur Umsetzung Ausblick auf die Wirkung der Programme"

Vortrag: "Qualität für Patienten, Gerechtigkeit im Wettbewerb" von Dr. Eckart Fiedler, Vorstandsvorsitzender der BARMER Ersatzkasse

Qualität, Transparenz, Gerechtigkeit im Risikostrukturausgleich - das sind die Kernpunkte eines Zehn-Punkte-Programms für die Einführung des Disease Managements, das die BARMER heute in Berlin der Öffentlichkeit vorstellte. Das Programm im Wortlaut:

1. Qualitätsoffensive pro Patient

Es gibt viele Hinweise darauf, dass Patienten im deutschen Gesundheitswesen entweder zu viele, zu wenige oder die falschen Leistungen in Diagnostik und Therapie erhalten. Prominenteste Quelle ist das Gutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen vom August 2001. Angesichts einer ausgeprägten Intransparenz im deutschen Gesundheitswesen wird es weiterhin viel Stoff für Forschungen bezüglich der Qualität der medizinischen Versorgung geben.

Gerade der medizinische Fortschritt stellt immer wieder hohe Anforderungen an Organisation und Koordination der medizinischen Abläufe. Eine Herausforderung, der wir uns ständig stellen müssen.

Wie wichtig gerade den Patienten Qualität in der medizinischen Versorgung ist, zeigte im übrigen die jüngste Versichertenbefragung durch den Verband der Angestellten-Krankenkassen: 97 Prozent der dort Befragten hielten Qualität für wichtig oder sehr wichtig.

Mit den Disease-Management-Programmen bietet sich nach Ansicht der BARMER Ersatzkasse die Möglichkeit, die Versorgung chronisch Kranker entscheidend zu verbessern. Nötig ist dafür vor allem, die wissenschaftlich notwendigen Behandlungsschritte zwischen den Beteiligten enger zu vernetzen, umfassend Qualität durch die Berücksichtigung Evidenz basierter Leitlinien zu sichern und die Patienten als Co-Produzenten ihrer Gesundheit aktiv zu beteiligen.

2. Stärkung der Patientenrechte

Reformversuche der Vergangenheit haben sich zu wenig auf die Mitwirkung der Patienten - Grundvoraussetzung für den Erfolg einer medizinischen Behandlung - konzentriert. Die BARMER will einen mündigen Patienten, der auf der Basis von sachgerechter Information frei wählt und mitwirkt.

Eine gute Patienteninformation erhöht die Compliance. Seit Jahren ist bekannt, dass die Non-Compliance-Rate bei bestimmten Indikationen über 50 Prozent liegt. So wird z. B. die Medikation bei Hypertonie nicht konsequent eingehalten, bleiben Diätvorschriften bei Diabetes mellitus unbeachtet oder rauchen Patienten trotz eines Herzinfarktes weiter. Dies ist Ergebnis fehlender Aufklärung und Motivation des Patienten. Disease-Management-Programme tragen dem Rechnung, indem sie dem Patienten eine aktivere Rolle zuweisen, ihn in das Behandlungsprogramm stärker einbinden sowie Ärzte und Krankenkassen auffordern, den Patienten dabei zu begleiten.

Erfahrungen aus den USA (HEDIS) zeigen im übrigen, dass die Zufriedenheit der Patienten mit der Qualität der Programme korreliert. Der enge Zusammenhang zwischen den Zielen der Disease-Management-Programme - die Förderung von Qualität, Compliance und Patientenzufriedenheit - steht damit außer Frage.

Die BARMER stellt den Patienten in den Mittelpunkt des Disease Managements. Der Patient beteiligt sich an DM-Programmen aufgrund einer freiwilligen, bewussten Entscheidung. Dies verstärkt den Ansporn für die BARMER, sich nachhaltig für die Qualität der Disease-Management-Programme einzusetzen.

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3. Evidenz basierte Medizin als Orientierungsrahmen der Therapiefreiheit

Disease-Management-Programme schränken die ärztliche Therapiefreiheit nicht ein. Für die BARMER ist klar: Die Forderung nach Evidenz basierter Medizin bedeutet eine verstärkte und aktuelle Wissenschaftlichkeit medizinischer Entscheidungen. Es geht also darum, der Therapieentscheidung des Arztes neutrale, aber wissenschaftlich objektivierte Grundlagen zu geben. Diesen Orientierungsrahmen bieten Leitlinien, definiert und aktualisiert von wissenschaftlicher Kompetenz, nicht diktiert von den Krankenkassen!

Evidenz basierte Leitlinien sind nicht nur für den Arzt, sondern auch für die Krankenkasse verbindlich. Dies gilt in besonderer Weise für die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung eines Patienten lässt sich nach Ansicht der BARMER nur sektorübergreifend richtig bewerten.

4. Kein Wettbewerb um medizinische Standards

Qualität und medizinische Standards sind unteilbar. Um medizinische Wahrheiten kann es keinen Wettbewerb der Krankenkassen geben. Daraus resultiert für die BARMER die Forderung, dass Disease-Management-Programme für alle gesetzlichen Krankenkassen einheitlichen Kriterien der Zulassung, der Einschreibung und der Erfolgskontrolle sowie des Benchmarkings unterworfen sein müssen. Diese Anforderungen müssen in der Risikostrukturausgleichs-Verordnung als rechtlicher Grundlage der Disease-Management-Programme klar definiert werden.

Das Wettbewerbsfeld der Krankenkassen ist die begleitende Patienteninformation, die Vermittlung geeigneter Schulungen, die Motivation der Patienten, Erinnerungsdienste und vieles andere mehr.

5. Optimierte Vernetzung statt Partikularinteressen

Disease-Management-Programme konzentrieren sich auf die bessere medizinische Versorgung chronisch kranker Patienten. Erfolg haben können sie nur, wenn alle an der medizinischen Versorgung Beteiligten vernetzt zusammenarbeiten. Erforderlich ist damit ein partnerschaftliches Miteinander in der ambulanten, stationären und rehabilitativen Versorgung, aber auch zwischen Haus- und Fachärzten im niedergelassenen Bereich. Dabei sollte der Hausarzt eine Lotsenfunktion für den Patienten übernehmen. Insgesamt müssen die Schnittstellen dieser Zusammenarbeit klar definiert und eine durchgängige Dokumentation organisiert sein, um Partikularinteressen oder -ängsten den Boden zu entziehen.

Vernetzung und Integration der Versorgung bedingt auch die technische Vernetzung aller Akteure. Disease-Management-Programme müssen zu einem Motor moderner Kommunikationswege im Gesundheitswesen wie der Telemedizin werden.

6. Die Kassenärztlichen Vereinigungen in der Verantwortung

Den Kassenärztlichen Vereinigungen fällt als Vertragspartner in der ambulanten Versorgung naturgemäß eine Schlüsselrolle bei der Einführung von Disease-Management-Programmen zu. Ihnen hat der Gesetzgeber den sogenannten Sicherstellungsauftrag übergeben. Damit verbunden ist die Erwartung einer wirtschaftlichen ambulanten medizinischen Versorgung nach dem aktuellen Stand der Wissenschaften - dem Zeugnis des Sachverständigenrates zufolge ein heute nicht erreichtes Ziel. Die BARMER sieht die Kassenärztlichen Vereinigungen daher in einer Bringschuld, die zugleich eine Chance für die Zukunft ist. Gemeinsam mit den Ärzten möchte die BARMER die Chance der Disease-Management-Programme nutzen und möglichst schnell und flächendeckend eine verbesserte medizinische Versorgung der chronisch Kranken - zunächst für Asthma/COPD, Brustkrebs, koronaren Herzerkrankungen und Diabetes mellitus - erreichen.

7. Kostenersatz ja, Kostenexplosion nein

Disease Management ist eine weithin optimierte Regelversorgung. Es geht nicht um neue ärztliche Leistungen, sondern um die geregelte Neuordnung und Vernetzung von Diagnose- und Therapieschritten. Finanziert werden daher die ärztlichen Leistungen im Disease Management auch zukünftig aus der ärztlichen Gesamtvergütung.

Allerdings muss für zusätzlichen Aufwand des Arztes ein angemessener Kostenersatz vereinbart werden. Dazu bekennt sich die BARMER ausdrücklich. Einer Regelung bedürfen die Einschreibung, einschließlich der Erstdokumentation, sowie die quartalsweise Folgedokumentation. Der Kostenersatz sollte über alle Kassenarten hinweg bundesweit einheitlich vereinbart werden, da es sich um die gleichen Arten von Aufwand handelt.

Aus Sicht der BARMER wirkt die Vergütung zusätzlichen Aufwandes additiv zur Gesamtvergütung. Allerdings darf der Grundsatz der Beitragssatzstabilität nicht durchbrochen werden. Eine Gefahr, die die BARMER durch die Vermeidung von Folgekomplikationen als auch durch die Erschließung aktueller Einsparpotenziale für beherrschbar hält.

Des weiteren muss der Verwaltungsaufwand durch eine durchgängige elektronische Dokumentation mit entsprechenden Schnittstellen zur Praxis-Software in vertretbarem Rahmen gehalten werden. Darauf aufbauende Arztinformationssysteme können zudem qualitative Hilfe bei der Durchführung von Disease-Management-Programmen bieten.

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8. Disease-Management-Programme erfordern Verteilungsgerechtigkeit im Risikostrukturausgleich

Aktuell sehr drastische Kritik gegen die Verknüpfung von Disease-Management-Programmen mit dem Risikostrukturausgleich geht am Kern vorbei. Tatsache ist, dass oft gut gemeinte Reformansätze der Vergangenheit - wie die Integrationsversorgung oder Strukturverträge - vor allem scheiterten, weil sie keine Berücksichtigung im Risikostrukturausgleich fanden.

Der daraus resultierende Teufelskreis ist bekannt: Im Risikostrukturausgleich werden bislang nur die durchschnittlichen Versorgungskosten einer Alters- und Geschlechtsgruppe ausgeglichen. Eine Krankenkasse erhält für ihre Versicherten gleich hohe Gutschriften, egal ob diese gesund oder chronisch krank sind. Damit werden Krankenkassen mit einem unterdurchschnittlichen Anteil chronisch Kranker bevorteilt, während große Versorgerkassen für ihren Einsatz um chronisch Kranke benachteiligt werden. Ein an sich sinnvoller Wettbewerb um die bessere medizinische Versorgung chronisch Kranker führt damit zum finanziellen Ruin der Versorgerkassen.

Jetzt wird erstmals korrigiert: Durch die Verknüpfung mit dem Risikostrukturausgleich fordern die Disease-Management-Programme die Innovationskraft der Krankenkassen zu Gunsten einer besseren medizinischen Versorgung ihrer chronisch Kranken. Erst diese Verknüpfung sorgt dafür, dass die Finanzmittel im Risikostrukturausgleich gerechter verteilt werden - dorthin nämlich, wo die chronisch Kranken betreut werden.

Im Gegensatz dazu übrigens sieht die BARMER in dem an der Morbidität orientierten Risikostrukturausgleich ab 2007 ein kritisch zu bewertendes Instrument. Durch einen "blinden" Ausgleich von Kosten wird der Weg zu einer besseren medizinischen Versorgung unattraktiv.

9. Krankenkassen: Interessenvertreter der Versicherten

Die BARMER sieht künftig ihre Rolle vor allem in der noch intensiveren Information der Versicherten und der Begleitung ihrer Versorgung. Zu den Serviceaufgaben gehören:

Diese Dienste stärken der Compliance und erhöhen die Qualität der Versorgung. Durch die immer wiederkehrende Qualitätsprüfung innerhalb des Disease Managements (Akkreditierung und Reakkreditierung) können es sich Krankenkassen nicht leisten, sich allein um die Einschreibung von Versicherten zu bemühen. Sie müssen ihre Programme vielmehr qualitativ so attraktiv halten, dass die Patienten auch dauerhaft aktiv daran mitwirken.

Der Wettbewerb der gesetzlichen Krankenversicherung konzentriert sich künftig damit in besonderer Weise auf den chronisch Kranken. Dieser Wettbewerb hat nach Auffassung der BARMER allein das Ziel, die Behandlung chronisch Kranker zu verbessern, auch indem das Verhältnis zwischen Arzt und Patient gestärkt wird.

10. Datenfluss beschränkt auf das Notwendige

Die freiwillige Entscheidung von Patient und Arzt, an Disease-Management-Programmen teilzunehmen, ist Grundlage dafür, dass Daten für die Steuerung des Disease Managements - und nur dafür - an die Krankenkassen fließen. Der Gesetzgeber hat den Krankenkassen erweiterte Kompetenzen hinsichtlich der Datennutzung zugebilligt. Dies schafft erst die Voraussetzung für eine effiziente Steuerung der Versorgung, ihre Evaluation und die motivierende Information der Patienten.

Die BARMER plädiert jedoch dafür, nirgendwo - auch nicht bei den Krankenkassen - Datenfriedhöfe anzulegen. Sie respektiert die Sorge vieler Ärzte und ihrer Patienten, dass aus dem Sprechzimmer hochsensible Daten dringen, die die Intimsphäre des Patienten über die Maßen ausleuchten. Die BARMER hält es für ausreichend, für jede Indikation im Rahmen des Disease Managements einen minimalen Datensatz festzulegen, der allein die für die Steuerungsaufgaben der Krankenkassen notwendigen Daten enthält.

Schlussbemerkung

Disease-Management-Programme bieten die Chance zu einer Qualitätsoffensive, durch die Strukturdefizite des deutschen Gesundheitswesens durch mehr und aktuellere Wissenschaftlichkeit und ohne ein Übermaß an Verwaltungsaufwand beseitigt werden können. Möglich wird dies, weil sie den Patienten strikt in den Mittelpunkt stellen und Qualität fördernde Maßnahmen mit dem Risikostrukturausgleich verbinden. Gelingen kann der jetzt möglich große Schritt aber nur, wenn das Wohl der Patienten nicht nur als Argument in der gesundheitspolitischen Debatte wahr-, sondern auch tatsächlich ernst genommen wird. In diesem Sinne ruft die BARMER auf: Weg von sinnloser Konfrontation, hin zu einem echten Miteinander!

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zuletzt bearbeitet: 27.03.2002 nach oben

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Dr. phil. Axel Hirsch

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