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Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen birgt viele Risiken

Pressemitteilung: BKK Bundesverband

Milliardenschwere Transfers ohne bessere Versorgung für chronisch Kranke

Jagd nach fremdem Geld

Der Bundesverband der Betriebskrankenkassen warnt die Politik davor, den Finanzausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenkassen durch das "Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs" überhastet neu zu gestalten und mit Programmen für chronisch Kranke zu verknüpfen.

Diese Verknüpfung werde zu milliardenschweren Transfers in der gesetzlichen Krankenversicherung führen, ohne dass für die Versorgung der Patienten etwas besser werde. Darauf wies der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK Bundesverband) am Dienstag in Berlin hin.

Die Betriebskrankenkassen halten die bessere Versorgung chronisch kranker Patienten für einen Kernauftrag der Kassen. Die Erreichung dieses Ziels dürfe allerdings nicht dazu führen, dass nur erhebliche finanzielle Mittel ohne Nutzen für die Patienten umverteilt werden. Die Verknüpfung von Chroniker-Programmen (Disease-Management-Programme) und Risikostrukturausgleich (Finanzausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenkassen) ist nach Ansicht der Betriebskrankenkassen nicht sachgerecht, weil die Finanzierung solcher Programme mit dem Geld fremder Krankenkassen zu Unwirtschaftlichkeit und Verschwendung führt. Um diese Gefahr zu verringern, fordern die Betriebskrankenkassen eine Eigenbeteiligung der Kassen - nicht der Patienten - von mindestens 25 Prozent der im Risikostrukturausgleich ausgleichsfähigen Ausgaben dieser Programme.

Die jetzt geplante Verknüpfung von Chroniker-Programmen mit dem Risikostrukturausgleich ist nach Meinung des Vorstandsvorsitzenden des BKK Bundesverbandes, Wolfgang Schmeinck, ein "ordnungspolitischer Sündenfall". Es gehe dabei schon lange nicht mehr um eine bessere Versorgung chronisch Kranker, sondern nur noch um die "Jagd nach fremdem Geld". Es sei zu befürchten, dass die Qualitätsstandards der Programme systematisch abgesenkt werden, um möglichst viel Geld aus dem Risikostrukturausgleich herauszuholen. Es könne nicht darum gehen, lediglich viele Patienten zur Einschreibung in die Programme zu bewegen. Ziel von Chroniker-Programmen sollte es vielmehr sein, schwerkranken Chronikern in bestimmten Behandlungsabschnitten eine besonders intensive Betreuung und Hilfe zukommen zu lassen.

Damit die geplante Einführung von Chroniker-Programmen nicht nur zur Geldbeschaffung aus dem Risikostrukturausgleich führe, müssten eindeutige und verbindliche Regeln für die Einführung und die Kontrolle von Chroniker-Programmen festgelegt werden. Verstöße dagegen müssten ebenso sanktioniert werden wie Verstöße gegen Steuergesetze.

Die Einführung von Chroniker-Programmen wird nach Ansicht der Betriebskrankenkassen zu einer besonderen Variante der Mitgliederwerbung und der Umverteilung führen. Begehrt sei der Chroniker, der gerade krank genug ist, um die Einschreibekriterien zu erfüllen. Er sollte aber möglichst noch so wenig behandlungsbedürftig sein, dass die Ausgaben für ihn deutlich unter dem Betrag bleiben, den eine Kasse für in Programmen eingeschriebene Versicherte aus dem Risikostrukturausgleich erhält. Hier zeige sich erneut: Es geht vor allem um Subventionen für einzelne Krankenkassen. Wenn es stimme, dass es um die Versorgung chronisch Kranker in Deutschland nicht zum Besten steht, müsse in der Versorgung beharrlich umgesteuert werden. Das gehe aber nicht von heute auf morgen.

Die Betriebskrankenkassen halten ebenso wie das Bundesversicherungsamt die Vorlaufzeit bei der Einführung der Chroniker-Programme für zu kurz. Immerhin müssten ab dem Jahr 2002 Chroniker-Programme für sieben Indikationen entwickelt werden: Diabetes, Asthma, Bluthochdruck, koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Schlaganfall und Mammakarzinom.

Die Gesundheitspolitiker rechnen damit, dass schon am Jahresanfang 2002 Programme laufen, Versorgungsverträge mit Ärzten bestehen und die Versicherten eingeschrieben sind. Bereits bis Ende Januar 2002, also vier Wochen nach Inkrafttreten des Gesetzes, sollten "mindestens vier" Indikationen benannt sein. Die Spitzenverbände der Kassen müssten spätestens acht Wochen danach die Konzepte für Chroniker-Programme abliefern und das Bundesversicherungsamt werde dann nach drei Monaten den Programmen die Zulassung erteilen. Diese Programme sollten rückwirkend ab Januar 2002 finanzwirksam im Risikostrukturausgleich werden.

Die Verbesserung der Versorgungsqualität wird nach Auffassung der Betriebskrankenkassen zwar von der Politik beschworen, aber durch die bisherigen Regelungen im Gesetz nicht abgesichert. Alles deute darauf hin, dass es den Gesundheitspolitikern mehr darauf ankommt, um jeden Preis schon im nächsten Jahr eine größere Zahl von Chroniker-Programmen und von eingeschriebenen Versicherten vorweisen zu können. Das gehe aber nur, wenn bereits vorhandene Programme zur Versorgung von Versicherten zu Chroniker-Programmen umdeklariert werden. Von einer Qualitätsverbesserung könne dann allerdings keine Rede mehr sein. Dies wäre vielmehr Etikettenschwindel.

Ursprünglich waren Chroniker-Programme als Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten eines weiterentwickelten Risikostrukturausgleichs im Jahr 2007 gedacht, der Morbidität (Erkrankungshäufigkeit) besser abbildet. Für eine "Zwischenlösung" für die Jahre 2002 bis 2006 (das heißt bis zur geplanten Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs) wird ein sehr hoher Aufwand für die Konzeption, für die Einschreibung der Versicherten, für die Verträge mit Leistungsanbietern und für die wissenschaftliche Bewertung (Evaluation) betrieben.

Für Chroniker-Programme sei überdies im Gesetz keine Auslaufregelung vorgesehen. Damit drohe ab 2007 ein unsystematisches Nebeneinander von Ausgleichssystemen für chronisch Kranke. Es gäbe dann den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich und zusätzliche Chroniker-Programme für bestimmte Indikationen. Damit werde für chronisch Kranke doppelt umverteilt.

Zu einer unvertretbaren Beschleunigung des wettbewerbsfeindlichen Ausgabenausgleichs und der Umverteilung wird nach Ansicht der Betriebskrankenkassen auch die von den Gesundheitspolitikern derzeit geforderte Vorziehung des Risikopools für aufwändige Leistungsfälle auf das Jahr 2002 führen. Im Entwurf für ein "Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs" ist ab 2003 ein weitgehender Ausgabenausgleich für besonders teure Krankheitsfälle vorgesehen. Ausgleichsfähig sind 60 Prozent des Betrags oberhalb eines Schwellenwertes von rund 40.000 DM im Jahr. Ein forcierter Ausgabenausgleich trage dazu bei, den Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung zu ersticken.

Die Betriebskrankenkassen befürchten, dass die Gesundheitspolitik mit der Umgestaltung des Risikostrukturausgleichs die bisherigen Ansätze für mehr Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb fallen lässt und stattdessen auf eine bloße Umverteilung von Geldern ausweicht. Nach Ansicht der Betriebskrankenkassen reicht es nicht aus, nur den Risikostrukturausgleich und die Umverteilung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu thematisieren. Vielmehr müsse mit dem Instrument des Wettbewerbs an der Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven im Gesundheitssystem gearbeitet werden.

Die gesetzliche Krankenversicherung braucht eine umfassende Reformdebatte. Die Betriebskrankenkassen plädieren für eine moderne, dezentrale und wettbewerbliche Gesundheitspolitik. Nur durch Wettbewerb kann es gelingen, ständige Qualitätsverbesserungen sowie bedarfsgerechte und zugleich wirtschaftliche Lösungen zu erreichen. Dazu brauchen die Kassen und ihre Verbände erweiterte Vertragsrechte.

Die 298 Betriebskrankenkassen in Deutschland versichern rund 12,5 Millionen Menschen. Mit einem Marktanteil von 17 Prozent sind die Betriebskrankenkassen die drittgrößte Kassenart der gesetzlichen Krankenversicherung nach den Ortskrankenkassen und den Ersatzkassen.

zuletzt bearbeitet: 30.10.2001 nach oben

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