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Was ist wichtiger - der Diabetes oder ich?

Interessante Begegnungen mit Diabetes-Teens in Kladow

Ein spannendes Erlebnis - das war mein Besuch bei der Kladowfreizeit der Teens im April 2003. Vieles von dem, was ich dort erlebte, kam mir, die ich selbst seit 1969 mit Typ-1-Diabetes lebe, vertraut vor, manches war faszinierend neu. Seit Jahren organisiert die Berliner Fördergemeinschaft Junger Diabetiker (BFJD) mit großem Engagement Freizeiten für Kinder und Jugendliche mit Diabetes mellitus. Dieses Jahr war ich eingeladen.

Ich erinnere mich noch gut an meine Teenagerzeit. Aber in den letzten 34 Jahren hat sich in Sachen Diabetes viel getan. Große und kleine Entwicklungen in der Diabetes-Therapie habe ich seither verfolgt. Als Initiatorin des unabhängigen Diabetes-Portals DiabSite kenne ich viele Menschen mit Diabetes. Aber was bewegt junge Diabetiker und ihre Eltern heute? Ist ihr Alltag leichter geworden? Sind die Sorgen der Eltern geringer?

Diabetes damals: Diät und Disziplin

Als meine Eltern vom Diabetes ihrer Tochter erfuhren, waren sie erschüttert. Ich selbst fand die Tatsache mit knapp elf Jahren nicht so schlimm. Erst als sich die strenge Diät und Blutzuckerschwankungen im Alltag bemerkbar machten, wurde die Krankheit lästig. In der näheren Umgebung und selbst in dem großen Gymnasium gab es keine anderen Kinder mit Diabetes. Ich fühlte mich allein.

Vor über 30 Jahren wussten Lehrer und Eltern fast nichts vom Typ-1-Diabetes bei jungen Menschen. Es gab weder Diabetes-Schulungen noch Insulin-Pens oder gar -Pumpen. Diabetiker mussten noch streng Diät leben. Sie konnten weder selbst ihren Blutzucker bestimmen noch einen Teil ihrer Therapie eigenständig managen.

Aber vor allem gab es noch keine Freizeiten für einen Erfahrungsaustausch. Das ist wirklich schade, denn auch ich hätte gerne beim Fahrrad fahren, Tischtennis spielen und gemeinsamen Leben mit anderen Diabetikern in meinem Alter von ihnen gelernt. Um so mehr hat mich die Einladung der BFJD, für die ich mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bedanke, gefreut!

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Diabetes: Was heißt das für Eltern heute?

In Kladow treffe ich erst einmal die zur Betreuung mitgefahrenen Eltern. Ihnen hat die Diagnose: "Ihre Tochter/Ihr Sohn hat Diabetes" anfangs genau wie meinen Eltern fast "den Boden unter den Füßen weggerissen". Sie brauchten Zeit, sich an die Tatsache zu gewöhnen. Und manche von ihnen sorgen sich auch nach Jahren noch heftig um die Gesundheit ihrer heranwachsenden Kinder.

Mit Mitte 40 kann ich die Eltern heute gut verstehen. Manchmal denke ich, wenn ich ein Kind mit Diabetes hätte, würde ich aus Angst vor Spätkomplikationen gar nicht loslassen können. Aber vermutlich wäre ich, wie die Eltern, die mir gegenüber sitzen, in einer Selbsthilfegruppe. Und dann wüsste ich, dass große Ängste um Kinder und Jugendliche mit weniger guten Blutzuckerwerten nach neueren medizinischen Erkenntnissen überzogen sind.

Diabetes heute: Für Teens fast ein Leben wie die anderen

Nachmittags, ich spreche noch mit den Eltern, kommen hin und wieder Jugendliche vorbei. Sie versichern mir, dass ihr Leben mit Diabetes sich kaum von dem ihrer Altersgenossen unterscheidet. Mit Insulin-Pumpe oder -Pen, Testgerät und guter Schulung sei der Diabetes kein Problem. Ich bleibe skeptisch.

Teens mit Diabetes und Eltern bei der Kladowfreizeit 2003. Nach dem Abendessen erzähle ich den Teens, was mich vor vielen Jahren an der elterlichen Fürsorge am meisten "genervt" hat: Es waren die ständigen Fragen meiner Mutter, ob ich auch gespritzt habe.

Nun, das Spritzen ist für die Anwesenden, die überwiegend eine Pumpe tragen, kein Problem. Aber heute können/müssen sie mehrmals täglich den Blutzucker testen und die gemessenen Werte in ein Tagebuch eintragen. Außerdem müssen sie ständig irgendwelchen Menschen den Diabetes erklären. Und wenn im Unterricht die Insulin-Pumpe einen Alarmton von sich gibt, denkt ein Vertretungslehrer schon einmal, dass wieder ein Handy nicht ausgeschaltet wurde. Das alles kann durchaus lästig sein!

Erstaunt hat mich das große Verständnis der jungen Diabetiker für die Eltern. Manche gestanden mir: "Ich habe den Diabetes ja auch lange schleifen lassen. Da ist es klar, dass meine Eltern nun ständig fragen." Ja, es ist verständlich! Aber zur Pubertät gehört nun einmal die "Rebellion" - manchmal leider auch die gegen den Diabetes.

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Woran Erwachsene unbedingt denken sollten

Der Alltag - auch ohne Diabetes - ist für Teenager nicht leicht zu bewältigen! Sie wollen in ihrer Gruppe akzeptiert werden, haben erste Freundschaften, müssen in der Schule "funktionieren" und bekommen von Eltern und Lehrern immer mehr Verantwortung für das eigene Leben übertragen. Die Jugendlichen müssen sich Gedanken um ihre berufliche Zukunft machen und suchen ihre eigene Position in der Gesellschaft.

Trotzdem werden sie von Erwachsenen noch oft wie Kinder behandelt. Die Pubertät stellt schon ohne Diabetes höchste Anforderungen an die Teens. Denn der tägliche Kampf darum, endlich ernst genommen zu werden, ist nun einmal hart!

Junge Diabetiker müssen sich in dieser Zeit auch noch um ihren kaum einstellbaren Diabetes kümmern (dass Diabetiker in der Pubertät trotz aller Disziplin keine optimalen HbA1c-Werte (Langzeitblutzucker-Werte) liefern können, ist u. a. in der Studie Diabetes Control and Complications Trial (DCCT) belegt.) Von Eltern und Betreuern werden regelmäßige Einträge in das Blutzucker-Tagebuch erwartet. Das Essen und die Insulingabe müssen richtig berechnet sein. Darüber hinaus spielen die Hormone verrückt und verursachen unerklärliche Blutzuckerwerte, die Fragen nach sich ziehen.

Fatal werden die regelmäßigen Fragen der Eltern nach Blutzuckerwerten dann, wenn sie das Gefühl vermitteln, der Diabetes sei wichtiger als die Jugendlichen selbst. Für diese Erkenntnis danke ich den Teens, denn das war es, was mich an der allmorgendlichen Frage meiner Mutter: "Hast du auch gespritzt?" so gestört hat.

Wie können also die Teenager pubertieren und "rebellieren", was für ihre Persönlichkeitsentwicklung unabdingbar ist, ohne sich selbst zu schaden?

Lernen, die Leinen zu lockern

Natürlich gibt es dafür keine Patentrezepte. Basis ist, dass wir Erfahrungen austauschen, um voneinander zu lernen. Wichtig ist, dass wir Fragen zulassen: Wie lassen andere Eltern die Leinen auch in der Diabetes-Fürsorge locker? Sprechen sie mit den Heranwachsenden über das richtige Maß der Sorge um die Gesundheit?

Genau so wichtig ist es, nicht nur im eigenen Saft zu kochen: Ich würde mir wünschen, dass alle Beteiligten, Diabetologen und Diabetesberaterinnen eingeschlossen, noch mehr miteinander sprechen. Eltern können nicht nur von Eltern, Teens nicht nur von Teens lernen. Wir alle sollten bereit sein, Neues zu lernen. Denn so faszinierend alle Fortschritte sind: Nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden könnte.

Autor: hu; zuletzt bearbeitet: 20.06.2003, zuletzt aktualisiert 06.04.2015 nach oben

Bildunterschrift: Jungendliche einer Freizeit für Kinder mit Diabetes
Bildquelle: Wilfried Brück.

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