Prinzipien der Health On the Net Foundation.

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Gesundheitswesen: Kopfpauschale versus Bürgerversicherung
Der Reformdruck in den sozialen Sicherungssystemen hält
unvermindert an. Die demographische Herausforderung mit ihrem Konflikt zwischen der jungen
und alten Generation verlangt neue Antworten. Der medizinische Fortschritt bei steigenden Ansprüchen
der Bevölkerung sowie die chronisch defizitäre Finanzlage in der Sozialversicherung erfordern innovative
und europaweite Lösungen. Klaus-Dirk Henke, Professor für Finanzwissenschaft und Gesundheitsökonomie
an der TU Berlin, stellt im Schwerpunktheft "Gesundheit und Gerechtigkeit" der
Wissenschaftszeitschrift UNIVERSITAS die Bürgerversicherung und die Kopfpauschale als zwei der derzeit
am häufigsten diskutierten Finanzierungsmodelle gegenüber.
Die "Bürgerversicherung"
Es sei vorstellbar, so Professor Henke, die gesamte Bevölkerung in der bestehenden gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) zu versichern. Beamte, bisher privat Versicherte, also überwiegend
Freiberufler und Selbstständige, und freiwillig in der GKV Versicherte würden alle in die
öffentlich-rechtliche GKV gezwungen. Die bestehenden etwa 50 privaten Krankenversicherungen
müssten in diesem Fall um ihre Existenz fürchten.
Den zusätzlichen Beitragseinnahmen durch die dazugewonnenen Mitglieder stünden fiskalisch gesehen
Ausgabensteigerungen gegenüber, die sich dadurch ergeben, dass die Neumitglieder selbstverständlich
auch Leistungen in Anspruch nehmen werden. Um die gewünschten fiskalischen Wirkungen zu verstärken
und um höhere Beitragssätze zu vermeiden, wollen die Befürworter der Bürgerversicherung Kapitaleinkünfte
und Mieteinnahmen zusätzlich zu den Löhnen und Gehältern in die Bemessungsgrundlage aufnehmen. Diese
wird damit verbreitert und entwickelt sich in Richtung des zu versteuernden Einkommens
(§ 2 EStG). Die Bürgerversicherung weist insoweit eine große Nähe zu einer
proportionalen Einkommensteuer auf; sie würde zu der bestehenden progressiven Einkommensteuer hinzutreten.
Die Grundstruktur der jetzigen GKV würde durch die Bürgersteuer nicht verändert. Allerdings nähme
der Arbeitnehmeranteil zu, da die Arbeitgeberbeiträge nur auf die Löhne und Gehälter, nicht aber auch
aus den individuellen Zinseinkünften und Mieteinnahmen erhoben werden können. Sie müssten allerdings
im Rahmen des Beitragseinzugs (Inkasso) durch die Arbeitgeber geprüft werden, um die Höhe der
Beitragssätze für die Arbeitgeber zu ermitteln. Insoweit wäre eine "Finanzamtslösung"
ehrlicher, da dort alle steuerlichen Gegebenheiten bekannt sind und auch zur Verfügung stehen. Eine
Doppelerhebung von Steuern und steuerähnlichen Abgaben in der Sozialversicherung entfiele;
Sozialversicherungsbeiträge und Einkommensteuern wären inhaltlich nicht mehr zu trennen und sollten
dann über eine unabhängige Institution wie das Finanzamt erhoben werden.
Kopfpauschale/Kopfprämie
Im Unterschied zur Bürgerversicherung, so Professor Henke, setzt die als Kopfpauschale (auch Kopfprämie)
bekannt gewordene individuelle Beitragszahlung nicht mehr bei einem versicherungs- oder
steuerrechtlichen Einkommensbegriff an, löst also die Gesundheitspolitik insoweit zunächst einmal
vom Arbeitsmarkt. Mit der Entlastung des Faktors Arbeit entfiele die beschäftigungshemmende Kopplung
der Beiträge an die Arbeitsentgelte. Die Lohnkosten stünden über die Höhe der Beitragssätze nicht mehr
ständig in der arbeitsmarktpolitischen Diskussion. Das Gesundheitswesen könnte sich als personalintensive
Dienstleistungs- und Wachstumsbranche freier entfalten. Außerdem wird der Druck von den Trägern der
Gesundheitspolitik genommen, mit Rücksicht auf die Arbeitskosten die Gesundheitsausgaben global, regional
und sektoral zu deckeln. Anstelle von ständiger Kostendämpfung und der Forderung nach Beitragssatzstabilität
treten die viel wichtigeren Gesundheitsleistungen in den Vordergrund. Sie gilt es über einen
kontrollierten Wettbewerb qualitätsmäßig abzusichern und auf unterschiedlichen Wegen der Bevölkerung
zur Verfügung zu stellen. Im Modell der Kopfpauschalen handelt es sich nicht um eine Zwangsversicherung
in einer Kasse, sondern um eine neue Anbieterpluralität von Krankenkassen für die verschiedenen Gruppen
der Bevölkerung, die sich auch - wie bisher - über bestimmte Berufsgruppen und Lebensformen
definieren lassen. Alle hätten die gleiche Grundabsicherung, allerdings mit Unterschieden in der Art,
wie sie zur Verfügung gestellt werden.
Der Arbeitgeberbeitrag wird in diesem Modell als Lohn ausgezahlt. Die so genannte paritätische
Selbstverwaltung mit ihrem Verbandswesen wird abgelöst und durch mehr Unternehmensverantwortung ersetzt.
Jede Frau und jeder Mann hätte absolute Beträge in unterschiedlicher Höhe für die Grundsicherung
zu zahlen und würde dafür die gewünschten Gesundheitsleistungen bekommen. Durch unterschiedliche
Tarife (Selbstbehalts- und Bonustarife, Tarife mit besonderen Qualitätssiegeln und eingeschränkter
Arztwahl, Tarife mit versicherungseigenen Einrichtungen) ergebe sich bei einem funktionsfähigen
Wettbewerb eine Differenzierung, die aller Voraussicht nach zu einem besseren und billigeren
Krankenversicherungsschutz führt. Prämiencharakter würde sich nur dann ergeben, wenn zwischen Männern
und Frauen oder nach Alter differenziert würde. Die Kopfpauschalen lägen im Wettbewerb je nach
Ausgestaltung zwischen 180 und 220 Euro monatlich. Sie fallen optisch noch geringer aus, wenn
das Krankengeld ausgegliedert ist und die zusätzlichen Einnahmen aus der vorgeschlagenen Praxisgebühr
berücksichtigt werden. Die Erwerbstätigen werden durch die Kopf- bzw. Bürgerpauschalen ent- und die
nicht erwerbstätigen älteren Menschen belastet. Ihre Ausgaben sind im Durchschnitt dreimal so hoch
und ihre Beiträge belaufen sich derzeit auf die Hälfte der Beitragszahlungen der erwerbstätigen
Bevölkerung.
Durch die Abkoppelung der Beiträge von den Lohnkosten und die Auszahlung des Arbeitgeberbeitrages
ergeben sich neue Anreizstrukturen und mehr Wettbewerb in der Leistungserbringung. Die künstliche
Trennung zwischen der GKV und der privaten Krankenversicherung (PKV) würde offiziell zu
einem sich ohnehin bereits entwickelnden neuen Angebot von Versicherungsstrukturen und -leistungen
führen.
Das Schwerpunktheft der UNIVERSITAS "Gesundheit und Gerechtigkeit" mit dem Beitrag von
Professor Kliemt kann im Rahmen eines kostenlosen und unverbindlichen Probeabonnements bei Dirk Katzschmann,
dem Chefredakteur der UNIVERSITAS, angefordert werden.
Das Schwerpunktheft der UNIVERSITAS "Gesundheit und Gerechtigkeit" mit dem Beitrag
von Professor Norbert Schmacke von der Universität Bremen kann kostenlos bei Dirk Katzschmann,
Chefredakteur der UNIVERSITAS, angefordert werden. Anschrift der Redaktion: Redaktion UNIVERSITAS,
Dirk Katzschmann, Birkenwaldstraße 44, 70191 Stuttgart,
E-Mail: universitas@hirzel.de,
Tel. 0711/2582/240 oder 0711/2582/352.
Pressemitteilung: Technische Universität Berlin.
17.02.2004
Archiv 2004
- Nachrichten zur Gesundheitspolitik
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