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Diabetes wegoperieren

Abstract zum Vortrag von Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland, Chefarzt der Abteilung Allgemeine Innere Medizin, Diabetes, Gastroenterologie, Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen der Asklepios Klinik St. Georg, Hamburg, im Rahmen einer Pressekonferenz zur 50. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 15. Mai 2015 in Berlin.

Für welche Patienten ist eine chirurgisch-interventionelle Therapie eine Alternative zur pharmakologischen Therapie?

Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland Bariatrische Operationen wurden seit den 1950er Jahren zur Therapie der morbiden Adipositas eingeführt. Im Verlauf der Anwendung dieser Operationen wurden neben der erwarteten Gewichtsreduktion metabolische Effekte beobachtet, die bei vielen Patienten, die zuvor an einem Diabetes mellitus Typ 2 erkrankt waren, eine deutliche Verbesserung der Stoffwechsellage zeigten, die zum Teil eine Beendigung der antihyperglykämischen Pharmako-Therapie möglich machten. Demzufolge stellte sich klinisch und wissenschaftlich die Frage nach den zugrunde liegenden Mechanismen und welche Patienten von diesen interventionellen Verfahren ganz besonders profitieren.

Die derzeitigen Empfehlungen sind operative Eingriffe zur Gewichtsreduktion (Adipositaschirurgie) bei Patienten mit einem BMI > 40 kg/m² oder einem BMI > 35 kg/m² und Komorbiditäten, wie z. B. einem Diabetes mellitus Typ 2, gegebenenfalls zu empfehlen, wenn multimodale Konzepte zur Gewichtsreduktion über mindestens sechs Monate keinen befriedigenden Erfolg, d. h. mindestens 10 Prozent Reduktion des Ausgangsgewichtes, gezeigt haben.[1] Ist die Indikation primär eine metabolische (metabolische Chirurgie), wie z. B. operative Eingriffe bei einem BMI unter 35 kg/m² und einem Typ-2-Diabetes, sollten die Patienten unbedingt in klinischen Studien eingeschlossen werden; dies ist noch Forschung und keine allgemeine Empfehlung.

Bei den operativen Verfahren unterscheiden wir zwischen restriktiven, malabsorptiven und kombinierten Verfahren. Im Moment werden meist auf Grund der Effektivität auf die Gewichtsreduktion, Durchführbarkeit, Sicherheit und metabolischen Begleiteffekte, die sogenannte "Sleeve-Gastrektomie" oder ein "Magen-Bypass" empfohlen. Bei beiden Verfahren wird das Magenvolumen deutlich verkleinert und beim Magen-Bypass (RYGB) wird zusätzlich noch das Duodenum operationstechnisch "ausgeschaltet".

Im Durchschnitt verlieren die Patienten innerhalb der ersten zwei bis drei Jahre 20-35 Prozent vom initialen Körpergewicht, nach 10 Jahren noch im Mittel 16 Prozent.[2] Einen Effekt in Bezug auf den Diabetes belegte vor ca. 10 Jahren eine erste große Metaanalyse von Buchwald et al. [3]. 78 Prozent der Patienten mit Diabetes kamen innerhalb von zwei Jahren in eine Remission, definiert als eine Unabhängigkeit von antidiabetischer Medikation. Das HbA1c konnte im Mittel absolut um 2,1 Prozent reduziert werden. In einer 3-Jahresstudie wurde bei schlecht eingestellten (HbA1c im Mittel 9,3 Prozent) Patienten mit Typ-2-Diabetes und Adipositas eine operative Strategie (Magen-Bypass oder Sleeve-Gastrektomie) mit einer intensiven medizinisch konventionellen Therapie in Bezug auf Normalisierung des HbA1c-Wettes auf ≤ 6,0 Prozent verglichen. Bei Magen-Bypass erreichten 38 Prozent der Patienten das Ziel, bei der Sleeve-Gastrektomie 24 Prozent und unter der medikamentösen Therapie nur 5 Prozent.[4] Dies sind signifikante Unterschiede und weisen auch darauf hin, dass ein operatives Verfahren mit Umgehung des Dünndarms metabolisch noch deutlichere Effekte hat, als eine alleinige Verkleinerung des Magens.

Die grundlegenden Wirkmechanismen des metabolischen Effektes der operativen Verfahren, die unabhängig von der alleinigen Gewichtsreduktion sind, sind bis heute letztlich noch unklar. Mechanismen, die diskutiert werden sind u. a. eine Veränderung der zahlreichen gastrointestinalen Hormone, die Stoffwechsel, Insulinsensitivität der Organe und ggf. Energiehaushalt regulieren können. Zudem kommt es evtl. zu einer Veränderung des gastrointestinalen Netzwerkes des autonomen Nervensystems, des intestinalen Mikrobioms, der Körperfettverteilung und möglicherweise auch zu Regeneration von Insulin-produzierenden Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse. Weitere klinische Forschung muss zeigen, welche Rolle die verschiedenen Mechanismen haben, und ob hier eventuell neue potenzielle "Targets" identifiziert werden können, die eines Tages evtl. auch medikamentös beeinflussbar wären.

Welcher Patienten ganz besonders profitiert ist bis heut noch unklar, wobei experimentelle und klinische Beobachtungen darauf hinweisen, dass es insbesondere die Patienten sind, die eine bisher kurze Diabetes-Dauer haben, eine Sekretion von Insulin noch haben, jünger sind und im Krankheitsverlauf noch nicht so weit und so schwer betroffen sind bzw. das HbA1c noch nicht zu hoch ist und die noch kein Insulin spritzen.[5]

Langfristige Daten weisen lassen vermuten, dass es auch günstige Effekte auf die Rate von Herzinfarkt, Schlaganfall, Gesamtsterblichkeit und möglicherweise Krebsentstehung gibt.[6] Diese Fragen müssen zurzeit aber natürlich abgewogen werden mit Komplikationen nach bariatrischen Eingriffen, die zwar gering sind, aber dennoch eine kurzfristige Mortalität von ca. 0,3 Prozent haben, zudem sind erneute operative Eingriffe gegebenenfalls nötig, eine Entfernung von Magen ist irreversibel und auch langfristige Komplikationen mit Störungen der Magen-Darm-Passage, Ulzera, Strikturen und ev. nutritiven Mangelerscheinungen, z. B. von Vitaminen, müssen berücksichtigt werden. Deshalb ist eine strukturierte Nachbetreuung dieser Patienten eine klare medizinische Forderung. Weitere interventionelle Strategien, wie z. B. Nahrungsaufnahme über den Dünndarm durch einen eingelegten Schlauch oder auch die gastrointestinale Motilität durch elektrische Regulierung zu verändern, ist interessant, muss aber weiter untersucht werden.

Zusammenfassend zeigt sich aber die Entwicklung einer "interventionellen Diabetologie", die zum Ziel hat nicht nur das Gewicht zu reduzieren, sondern auch den Stoffwechsel und den Krankheitsverlauf frühzeitig zu verbessern, um eine Remission des Diabetes zu erreichen. Strukturierte Nachsorge-Programme können dafür sorgen, dass die Rezidivrate möglichst gering bleibt und wir eines Tages eventuelle eine Heilung des Diabetes erreichen. Um die Zusammenhänge besser zu verstehen und dann neue nicht-operative Therapieoptionen zu entwickeln, sind interdisziplinäre Forschungsprogramme, die Grundlagenwissenschaft, klinische Forschung, Patienten-Register und Versorgungsforschung zusammenbringen, gefragt.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Quellen

  1. Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Prävention und Therapie der Adipositas der DAG, DDG, DGE und DGEM; AWMF-Register Nr. 050/001; Version 2.0, April 2014.

  2. 2013 AHA/ACC/TOS Guideline for the management of overweight and obesitey in adults. Circulation 2013.

  3. Buchwald H et al. Bariatric surgery: a systematic review and meta-analysis. JAMA 292: 1724-1737

  4. Schauer PR et al. Baratric surgery versus intensive medical therapy for diabetes- 3-year outcomes. N Engl J Med 2014; 370: 2002-2013

  5. Still CD et al. Preoperative prediction of type 2 diabetes remission after Roux-en-Y gastric bypass surgery: a retrospective cohort study. Laancet Diabetes Endocrinol 2014; 2: 38-45

  6. Sjöstrom L Review of the key results from the Swedish Obese Subjects (SOS) trial - a prospective controlled intervention study of barartric surgery. J Intern Med 2013; 273: 219-234.

Bildunterschrift: Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland
Bildquelle: Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)

zuletzt bearbeitet: 05.06.2015 nach oben

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