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Aktuelle Daten und zukünftige Entwicklung der Diabetesprävalenz

Abstract zum Vortrag von Dr. med. Wolfgang Rathmann, MSPH (USA), Stellvertretender Direktor des Instituts für Biometrie und Epidemiologie am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ), im Rahmen der Pressekonferenz zur 46. Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) am 3. Juni 2011 in Leipzig.

Deutlichen Anstieg der Diabeteserkrankungen mit Präventionsprogrammen reduzieren

Verschiedene Datenquellen lassen darauf schließen, dass die Häufigkeit des diagnostizierten Typ-2-Diabetes in der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland derzeit bei etwa acht Prozent (sechs Millionen) liegt. Im aktuellen Diabetes-Atlas der International Diabetes Federation (IDF) wird die Häufigkeit sogar mit zwölf Prozent angegeben. Damit belegt Deutschland einen Spitzenplatz in Europa.

Diese Angaben müssen jedoch kritisch hinterfragt werden (methodische Unterschiede für einzelne Länder). Nach dem IDF-Atlas wird die Zahl der Menschen mit Diabetes in Europa bis 2030 um 20 Prozent ansteigen. Anhand einer aktuellen Studie des Deutschen Diabetes-Zentrums muss in Deutschland bis 2030 in der Altersklasse der 55- bis 74-Jährigen mit einem Anstieg um mehr als 1,5 Millionen Personen (+64 Prozent) gerechnet werden. Würde jede zweite Person mit erhöhtem Diabetesrisiko (Prädiabetes) an einem Präventionsprogramm teilnehmen, ließe sich mindestens ein Viertel der zukünftigen Diabetesfälle vermeiden.

Während der diagnostizierte Diabetes über die Selbstangabe von Betroffenen oder über Krankenkassendaten bestimmt werden kann, ist die Schätzung des unbekannten (Typ-2-)Diabetes nur in aufwendigen bevölkerungsbezogenen Studien über die Messung der Nüchtern- und Zwei-Stunden-Glukose im oralen Glukosetoleranztest möglich (WHO). Hinweise auf eine hohe Zahl unentdeckter Diabetesfälle in der deutschen Bevölkerung stammen aus der KORA-Studie (Region Augsburg). In der Altersgruppe zwischen 55 und 74 Jahren wurde eine Prävalenz des unbekannten Diabetes von 8,2 Prozent ermittelt, die in ähnlicher Größenordnung wie der bekannte Diabetes (8,7 Prozent) liegt. In der Altersgruppe zwischen 35 und 59 Jahren erhielt man eine Gesamtprävalenz von 4,2 Prozent, wovon ebenfalls etwa die Hälfte (zwei Prozent) unerkannt waren.

Die Ergebnisse aus der Region Augsburg sind jedoch nicht repräsentativ für Gesamtdeutschland. Forschungsergebnisse aus einem Zusammenschluss von bevölkerungsbezogenen Studien aus verschiedenen Regionen Deutschlands (DIAB-CORE Verbund, Kompetenznetz Diabetes) zeigen Schwankungen in der Häufigkeit des bekannten Typ-2-Diabetes in der Altersgruppe der 45- bis 74-Jährigen zwischen 5,8 Prozent (KORA, Region Augsburg) und zwölf Prozent (CARLA, Region Halle) mit deutlichem Nordost-Südwest Gefälle.

Auch im internationalen und europäischen Vergleich wurden regionale Unterschiede ermittelt. 2009 veröffentlichte die IDF in ihrem Atlas eine alarmierend hohe Zahl von zwölf Prozent an Diabetes erkrankten Personen in Deutschland (Alter 20 bis 79 Jahre). Diese Zahl lag deutlich höher als jene aus Frankreich (9,4 Prozent), Großbritannien (4,9 Prozent), Italien (8,8 Prozent), Russland (9,0 Prozent) oder Spanien (8,4 Prozent). Die Unterschiede lassen sich jedoch teilweise auf unterschiedliche Studienmethoden und Vorgehensweisen bei der Berücksichtigung unbekannter Diabetesfälle zurückführen. Im IDF-Atlas wurden auch Schätzungen zur zukünftigen Entwicklung der Diabeteshäufigkeit bis zum Jahr 2030 veröffentlicht, die allerdings nur die Veränderung der Demografie berücksichtigen (20 Prozent Zunahme der Diabetesprävalenz in Europa bis 2030).

Eine aktuelle Studie des Instituts für Biometrie und Epidemiologie am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ, Düsseldorf) berücksichtigt zusätzlich die Neuerkrankungsraten und Sterblichkeitsdaten für Personen mit Typ-2-Diabetes (bekannte und unentdeckte Fälle) sowie Diabetesvorstufen in der älteren Bevölkerung. Wendet man diese Zahlen auf die aktuellen Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung der Statistischen Ämter von Bund und Ländern für das Jahr 2030 an, erhält man gegenüber heute bei den 55- bis 74-jährigen Männern in der Bundesrepublik Deutschland einen Zuwachs von fast einer Million Personen mit Diabetes (+79 Prozent). Bei den Frauen ergibt sich ein Anstieg um 0,5 Millionen Betroffene (+47 Prozent).

Mehrere Präventionsstudien an Personen mit gestörter Glukosetoleranz, einer Vorstufe des Typ-2-Diabetes (Prädiabetes), zeigten übereinstimmend, dass die Neuerkrankungen an Diabetes durch eine Lebensstilintervention (Gewichtsreduktion, Bewegung, Ernährung) um mehr als die Hälfte gesenkt werden kann. Würden 50 Prozent der Personen mit einem Prädiabetes erfolgreich und dauerhaft an Maßnahmen zur besseren Ernährung und Gewichtsreduktion teilnehmen (zum Beispiel Finnisches Diabetes-Präventionsprogramm), könnten nach der aktuellen Studie des DDZ insgesamt 210.000 (21 Prozent) Diabetesfälle bei Männern und 160.000 (31 Prozent) der zukünftigen Fälle bei Frauen vermieden werden. Würden sogar drei von vier der Personen mit Diabetesvorstufen mitmachen, stiegen diese Zahlen auf 300.000 Männer und 225.000 Frauen. Die aktuelle Studie des DDZ zeigt, dass die Teilnahmebereitschaft an Präventionsprogrammen in der Bevölkerung ein zentraler Faktor für den Erfolg solcher Maßnahmen darstellt, was bei der Planung berücksichtigt werden sollte.

Fazit

Durch die Zunahme von Übergewicht und Bewegungsmangel ist auch in Deutschland mit einem deutlichen Anstieg des Typ-2-Diabetes zu rechnen. Angesichts dieser Entwicklung ergibt sich die dringliche Aufgabe, effektive Programme zur Prävention zu entwickeln. Gezielte Interventionen bei Personen mit Prädiabetes müssen durch flankierende gesundheitspolitische Maßnahmen ergänzt werden. Ziel sollte unter anderem sein, auf Bevölkerungsebene Anstrengungen zu unternehmen, um Bewegung und gesunde Ernährung zu fördern.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

zuletzt bearbeitet: 03.06.2011 nach oben

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