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In Deutschland werden zu viele Diabetiker unter- und fehlversorgt

diabetesDE fordert nationalen Diabetes-Plan

Rund 30.000 Amputationen und bis zu 1.700 Erblindungen sind jedes Jahr in Deutschland die Folgen eines unzureichend eingestellten Diabetes. Zum einen fehlen wirksame Maßnahmen zur Prävention und Früherkennung. Zum anderen gibt es Fehl- und Unterversorgung: Niedergelassene Ärzte und Krankenhaus-Ärzte arbeiten zu wenig zusammen, die Daten über die Versorgungsqualität von Menschen mit Diabetes sind dünn und neue Therapien setzen sich nur langsam durch.

In Deutschland gibt es nach Aussage der International Diabetes Federation (IDF) mittlerweile 7,5 Millionen Menschen mit Diabetes. Jährlich kommen rund 300.000 Menschen mit Diabetes Typ 2 hinzu. Damit hat Deutschland eine der höchsten Raten an diagnostizierten Diabetikern in Europa. Schlecht behandelte Diabetiker haben ein großes Risiko, Folgeerkrankungen zu entwickeln. Insbesondere die Gefäße werden durch die Zuckerkrankheit geschädigt. Herzkrankheiten, Nierenleiden sowie Schäden an den Augen und Beinen sind häufig.

diabetesDE fordert daher einen nationalen Diabetes-Plan. Er soll Vorbeugemaßnahmen sowie Lösungen für eine bessere Versorgung vereinen. "Es ist ein Missstand, dass Deutschland bis heute keinen nationalen Diabetes-Plan hat. Länder wie Dänemark, Irland oder Spanien haben die EU-Vorgabe aus dem Jahr 2006 längst umgesetzt", sagt Dr. med. Hans-Martin Reuter, Vorstandsmitglied von diabetesDE und verantwortlich für das Ressort "Prävention und Versorgung". In Deutschland mangelt es an einem zielgerichteten System zur Früherkennung. Im Durchschnitt wird die Krankheit erst zehn Jahre nach ihrem Ausbruch diagnostiziert.

Dabei waren die medizinischen Möglichkeiten noch nie so gut wie heute. Die Behandlungs-Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) beschreiben, wie eine optimale Versorgung von Menschen mit Diabetes aussehen sollte. Trotzdem werden sie häufig im Alltag nicht umgesetzt. Das liegt unter anderem an der mangelhaften Vernetzung der einzelnen Behandler: Diabetiker brauchen einen Hausarzt, der sie dauerhaft betreut. Von Zeit zu Zeit müssen sie jedoch in einer Spezialpraxis neu eingestellt und geschult werden. Gelegentlich werden auch Krankenhausaufenthalte nötig. Doch der eine weiß zu wenig von den Behandlungszielen des anderen. Jeder behandelt nur ein Symptom und die Therapien bauen nicht aufeinander auf. "Doch die meisten Diabetiker leiden an verschiedenen Krankheiten, weswegen immer eine Behandlung des gesamten Menschen notwendig ist", so Reuter.

Ein weiteres Problem liegt in den fehlenden Daten: "Wir wissen heute zu selten, wie erfolgreich eine Therapie auf längere Sicht gesehen ist, weil wir keine Langfristerhebungen haben", kritisiert Dr. Reuter. Selbst die Daten aus den vom Staat initiierten Versorgungsprogrammen für Diabetiker - dem Disease Management Programm (DMP) - werden nicht ausgewertet. Bis heute weiß keiner verlässlich, was diese Programme bringen beziehungsweise gebracht haben - auch wenn es keinen Zweifel daran gibt, dass sie sinnvoll sind. Die Versorgungsforschung ist völlig unzureichend, niemand kennt zum Beispiel die exakte Anzahl der Patienten, die bei einer Folgeerkrankung wie der "Diabetische Fuß" oder "Bluthochdruck" weiterbehandelt werden. Fakt ist, dass schulungsfähige Patienten nur zur Hälfte geschult werden.

Ein drittes Struktur-Problem kommt hinzu: In Deutschland sind die Preise für Medikamente deutlich höher als in anderen europäischen Ländern. Davon sind vor allem neue, innovative Präparate betroffen. Während in benachbarten EU-Ländern Industrie, Krankenkassen und Politik häufig gemeinsam entscheiden, wie viel neue Therapien und Medikamente kosten dürfen, bestimmt in Deutschland die Industrie den Preis. Die Ärzte bekommen von den Kassen jedoch Obergrenzen für Medikamentenausgaben genannt. Überschreiten sie diese, drohen Regresse. Deswegen werden innovative, meist teurere Medikamente oft seltener verschrieben und setzen sich langsamer durch.

In Deutschland erblinden jährlich rund 1.700 Menschen an einer diabetischen Retinopathie - eine Folge des schlecht eingestellten Diabetes. Jedes Jahr werden bis zu 30.000 durch Diabetes bedingte Amputationen an den Beinen oder Füßen durchgeführt. Das hat dramatische Folgen für die Betroffenen, aber auch für die Sozialsysteme. Schließt man Versorgungslücken, sind viele dieser Schicksale zu vermeiden. Doch dafür ist politische Unterstützung unverzichtbar: Nur so lassen sich verlässliche Daten zur Versorgung erheben und innovative Therapien konsequent in Klinik und Praxis umsetzen.

zuletzt bearbeitet: 23.02.2010 nach oben

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