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Diabetes: Verwaltung entscheidet, was Patienten noch bekommen

Werden moderne Insuline bald nicht mehr für alle Patienten erstattet?

Geht es nach dem Willen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), sollen rund 300.000 Menschen mit Typ-2-Diabetes, die man mit sogenannten langwirksamen Insulinanaloga behandelt, eingeschränkt werden und gesundheitliche Risiken in Kauf nehmen. "Dies ist schlichtweg unethisch", so Prof. Dr. med. Andreas Fritsche, Mitglied des Pharmakotherapieausschusses der Deutschen Diabetes-Gesellschaft anlässlich einer Pressekonferenz der Novo Nordisk Pharma GmbH in Berlin. "Bei Anwendung international üblicher statistischer Methoden ist eindeutig belegt, dass langwirksame Insulinanaloga das Risiko von Unterzuckerungen vermindern."

"Dennoch will der G-BA diese Insuline nicht weiter erstatten lassen", kritisiert auch Dr. med. Tim Heise, Leiter des Profil Instituts für Stoffwechselforschung in Neuss. "Hier soll am falschen Ende gespart werden. Dabei könnten die Folgen, die aus wiederholten Unterzuckerungen resultieren, die Solidargemeinschaft weitaus teurer zu stehen kommen", sagt Dieter Möhler, Bundesvorsitzender des Deutschen Diabetiker Bundes, der deutliche Worte aus der Sicht der Patienten bzw. Betroffenen fand. Erstmalig halte sich die Politik heraus und überlässt es einer Verwaltung zu entscheiden, welche Medikamente Patienten erhalten dürfen und welche nicht.

Hypoglykämien (Unterzuckerungen) sind ein schwerwiegendes Ereignis in der Diabetesbehandlung. Sie entstehen als Nebenwirkungen der Insulintherapie. Kommt es bei der Insulinbehandlung zu einem übermäßigen Zuckerabbau im Blut, ist eine Hypoglykämie die unmittelbare Folge. "Es treten zunächst typische Symptome wie Zittern, Schwitzen, Heißhunger oder Sprachstörungen auf. Es sind Warnreaktionen des Körpers, die dazu führen sollen, möglichst rasch Glukose über die Nahrung aufzunehmen", berichtet Fritsche.

"Beim Nicht-Diabetiker ist eine Unterzuckerung kein Problem. Bei Diabetes-Patienten hingegen können diese Zustände sehr häufig auftreten, so dass sich der Körper daran gewöhnt und Warnsignale nicht mehr registriert", so Andreas Fritsche. Auf anfänglich leichten Unterzuckerungen folgen dann schnell schwere Hypoglykämien mit lebensbedrohlichen Zuständen. "Es ist eindeutig belegt: Viele leichte Hypoglykämien fördern schwer, möglicherweise sogar tödliche Unterzuckerungen. Darum muss jede Hypoglykämie vermieden werden", appelliert Fritsche.

Langwirksame Insulinanaloga helfen dabei, die Anzahl der Unterzuckerungen zu verringern und damit das Risiko von möglicherweise tödlichen Auswirkungen zu minimieren. Die Analoga sind dem humanen Insulin ähnliche Stoffe, die aufgrund ihrer Eigenschaften Vorteile in der Therapie bieten. "Die Analoginsuline zeigen einen deutlichen Mehrwert gegenüber den sogenannten NPH-Insulinen, die aus den 30er Jahren stammen. Mit langwirksamen Insulinanaloga lassen sich die Therapieziele besser erreichen und damit die Häufigkeit gefürchteter Diabetes-Folgen wie Erblindung und Nierenversagen reduzieren, ohne den Preis von vermehrten gefährlichen Unterzuckerungen zahlen zu müssen", ergänzt Fritsche.

Wie kommt nun das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), das mit der Nutzenbewertung der Analoginsuline beauftragt wurde und dem G-BA damit die Entscheidungsgrundlage liefert, trotz der wissenschaftlich belegten Vorteile zu seiner Auffassung? "Die unterschiedliche Bewertung der Daten kommt dadurch zustande, dass das Institut die Ergebnisse mathematisch korrigiert hat", erklärt Heise. Probleme sieht er allerdings in der Art des angewandten Korrekturverfahrens. "Die vom IQWiG gewählte Methodik ist eine Kombination von vielen kleinen Korrekturmaßnahmen, von denen jede einzelne die Anerkennung eines in Studien demonstrierten Nutzens von langwirkenden Insulinanaloga bei Patienten mit Typ-2-Diabetes erschwert. Insgesamt werden dadurch wichtige und patientenrelevante Vorteile übersehen", gibt Heise zu bedenken.

Geht es eigentlich noch um den Patienten mit Diabetes oder die Ängste und den Leidesdruck von Familienangehörigen? Geht es noch um die Menschen? Oder werden die Bedürfnisse der Betroffenen durch den immer größer werdenden Wunsch nach Einsparmaximierung überholt? "Wohlgemerkt, wenn wir von Lebensqualität und Bedürfnissen sprechen, ist nicht 'Wellness' gemeint. Insulinanaloga sind doch keine Lifestyle-Medikamente", stellt Dieter Möhler klar.

Bliebe der gegenwärtige G-BA-Entwurf bestehen, müssten die Ärzte zukünftig Schädigungen des Patienten billigend in Kauf nehmen, bevor langwirksame Insuline verordnet werden dürften, gibt Möhler zu bedenken. "Dabei sind wir als Patienten absolut dafür, dass sorgfältig mit dem Geld der Krankenkassen umgegangen wird. Wenn das IGWiG tatsächlich unabhängig ist, wie gesetzlich zugesichert, dann muss es aber auch anerkannt wissenschaftlich vorgehen und die Realität abbilden", fordert Möhler weiter. Es sei auch vollkommen unwichtig, ob man "leichte" und "schwere" Hypoglykämie unterscheidet. Das Ereignis zählt, und es ist gefährlich.

"Der Staat ist an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt und sieht sich einem demografischen Problem gegenüber. Dieses haben allerdings nicht die Patienten verursacht. Deshalb brauchen die Patienten mehr als nur eine Statistenrolle im G-BA. Studien hin oder her!", so der Bundesvorsitzende abschließend.

zuletzt bearbeitet: 10.09.2009 nach oben

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