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Kurzzeit-Insulin-Analoga: Scheininnovationen oder nützliche Medikamente?
Pressekonferenz "Insuline für Diabetiker werden gestrichen"Kurzwirksame Analoginsuline von klinischen Experten gewünscht
Kurzfassung des Vortrags von Dr. med. R. Renner, Initiativgruppe DIABETES München, zur Pressekonferenz "Insuline für Diabetiker werden gestrichen" am 23. Februar 2006 in Berlin
Der G-BA plant durch Änderung der Arzneimittel-Richtlinie die Verordnungsfähigkeit für schnellwirksame Insulinanaloga bei Typ 2–Diabetes auszuschließen. Patienten, die zu einem Stichtag bereits mit einem schnellwirksamen Insulinanalogon behandelt werden, sind davon nicht betroffen und dürfen somit auf der bestehenden Therapie verbleiben.
Der (geplante) Beschluss des G-BA ist aus folgenden Gründen inakzeptabel:
Kurzwirksame Analoginsuline sind keineswegs Scheininnovationen der Pharmaindustrie. Der Anstoß zur Entwicklung dieser Insuline ging weltweit vielmehr von klinischen Experten aus. Ziel hierbei war es, die Wirkung der Insuline dem physiologischen Insulinsekretionsmuster ähnlicher zu machen und somit beispielsweise die postprandiale Regulation zu verbessern, zu verlässlicheren Dosiswirkungsbeziehungen zu kommen, geringere Überlappungen mit der Wirkung der Basalinsuline zu erreichen, die Hypoglykämiegefahr zu reduzieren und Insulinresistenz effektiver beseitigen zu können. Die tägliche Erfahrung der klinisch tätigen Ärzte beweist, dass die Analog-Insuline vielen Patienten - auch denen mit Typ 2-Diabetes - im Rahmen der Insulintherapie einen praktischen Nutzen ermöglichen, der mit Humaninsulin nicht zu erreichen ist. Dabei spielt auch die verbesserte Lebensqualität eine entscheidende Rolle.
Das Verfahren der sogenannten "Nutzenbewertung" durch das IQWiG gilt in Fachkreisen der Diabetologie als höchst umstritten:
- Die Auswahl der berücksichtigten Studien erfolgte nach willkürlichen, wissenschaftlich schwer nachvollziehbaren Kriterien.
- Eine verpflichtende Evidenz kann auch aus einer Vielzahl unterschiedlicher Studienklassen gefolgert werden.
- Wegweisend sind stets die Erkenntnisse aus der Physiologie und Pathophysiologie.
- David L. Sackett weist in "Evidence-based Medicine, How to Practice and Teach EBM" explizit darauf hin, dass die persönliche Expertise des behandelnden Arztes und die individuellen Gegebenheiten des Patienten bei der Auswahl der adäquaten Therapien berücksichtigt werden müssen.
- Randomisierte kontrollierte Studien (Randomized Controlled Trials = RCTs) beschreiben nach Ausschlusskriterien selektionierte Patientengruppen, lösen aber keine individuellen Therapieprobleme.
- Die ausschließliche Beschränkung der Nutzenbewertung auf RCTs ohne Berücksichtigung der mittlerweile breiten therapeutischen Erfahrung im täglichen Einsatz der kurzwirksamen Insulinanaloga bei Typ 2-Diabetes (mittlerweile ca. 400.000 damit behandelte Patienten) spiegelt die Versorgungsrealität nicht ausreichend wider. Die Erfahrungen der deutschen und internationalen Diabetes-Therapeuten, die seit 10 Jahren mit dieser Substanzklasse Erfahrungen gesammelt haben, werden mit einer solchen Festlegung komplett ignoriert.
Der vom IQWIG vorgeschlagene Entscheid würde ein Novum in der Pharmakotherapie Deutschlands darstellen. Dies stellte einen massiven Eingriff in die Therapiefreiheit und Therapieverantwortung des Arztes, insbesondere des Diabetologen, dar. Mit einem solchen Beschluss würde dem Arzt kategorisch diese Therapiealternative entzogen und damit die Option für individuelle Behandlungsmaßnahmen genommen.
Alle betroffenen Substanzen sind sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern in zahlreichen klinischen Studien (unter Einhaltung internationaler Qualitätsstandards) untersucht worden. Das weitgehende Ignorieren dieser Studienergebnisse durch das IQWIG ist nicht hinzunehmen.
Während in vielen europäischen Nachbarländern der Einsatz von Insulinanaloga zu einer akzeptierten Standardtherapie geworden ist (UK: 77%, Frankreich: 75%, Schweden: 86%, Schweiz: 79%, Niederlande: 72% aller kurzwirksamen Insuline sind dort bereits Insulinanaloga), soll in Deutschland mit diesem Beschluss eine inverse Entwicklung eingeläutet werden.
Angesichts der Evidenz für die Bedeutung der postprandialen Hyperglykämie bei der Entstehung der häufigen und kostenträchtigen Diabeteskomplikationen ist es nicht verständlich, dass die wirksamsten Werkzeuge zur Korrektur dieses Risikos aus dem therapeutischen Arsenal verschwinden sollen. Nicht zuletzt die Ergebnisse der UKPDS zeigen, dass die traditionelle Insulintherapie vielen Betroffenen infolge der Dynamik ihrer Typ 2-diabetischen Erkrankung nicht gerecht wird.
In der Rechtsverordnung für die Anforderungen an das Disease-Management-Programm Typ 2 aus dem Jahr 2002 werden auch Insulinanaloga zugelassen, wenn auch in einer nachrangigen Therapiesequenz. In der gleichen Rechtsverordnung ist festgehalten, dass der Arzt die Patientenpräferenzen zu berücksichtigen hat. Wenn bei der Nutzenbeurteilung des IQWiG für Menschen mit Typ 2-Diabetes, die bereits erfolgreich mit kurzwirksamen Analoga behandelt werden, diese Therapie weitergeführt werden kann, wird eingeräumt, dass bei definierten Indikationen die therapeutischen Optionen der Behandlung mit Normalinsulin überlegen sind. Somit wird hier ein Nutzen eingeräumt, während Patienten, die bisher kein kurzwirksames Analogon hatten, in prophetischer Vorwegnahme keinen Vorteil haben werden. Dieses Vorgehen ist wissenschaftlich nicht begründbar. Darüber hinaus sollte bedacht werden, dass ein Großteil der Menschen mit Typ 2-Diabetes im DMP bereits eingeschrieben ist und deshalb zur Verordnung von kurzwirksamen Analoga eine nachvollziehbare Begründung des Arztes vorliegen muss.
Schließlich widerspricht der Inhalt des Beschlussentwurfes auch dem Gleichheitsgrundsatz, der im Grundgesetz Artikel 3 festgeschrieben steht, da nach den vorliegenden Planungen bei gleichem Sachverhalt einer Gruppe von Patienten die Therapie mit kurzwirksamen Insulinanaloga weiter ermöglicht werden soll, während für neue Patienten trotz Indikationsstellung nach dem Beschlussentwurf diese Therapiealternative nicht mehr in Betracht kommen soll.
Aus allen diesen Gründen wende ich mich als Mitglied der Initiativgruppe DIABETES München entschieden gegen die drohende Beschlussfassung des Gemeinsamen Bundesausschusses.
Bildunterschrift: Dr. med. R. Renner
Bildquelle: Presseagentur der Veranstaltung
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