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Die Folgen der geplanten Gesundheitsreform

Patienten in der Privatisierungsfalle

Eine sozial akzeptable Finanzierung der Krankenversicherung ist auch nach der Einigung zwischen Regierung und Opposition vom Juli 2003 noch nicht in Sicht. Denn deren Vorschläge für die Gesundheitsreform lösen nicht das Qualitäts- und Finanzierungsproblem der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Thomas Gerlinger, Gesundheitsexperte am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), bezweifelt in einem Beitrag für die neueste Ausgabe der WZB-Mitteilungen, dass die Reformvorschläge ein tragfähiges Konzept für eine zukunftsfähige Krankenversicherung bilden.

Um alle Bürger medizinisch hochwertig und zugleich kostengünstig und sozial ausgewogen versorgen zu können, reichen die Eckpunkte für die geplante Gesundheitsreform nicht aus. Die Mängel des deutschen Gesundheitssystems, das im internationalen Vergleich bei einem hohen Ressourceneinsatz nur mittelmäßige Behandlungsergebnisse hervorbringt, würden nicht behoben, so Gerlinger.

Die Versicherten bzw. Patienten müssen nach den Reformvorstellungen die Hauptlast tragen, nämlich 8,5 der vorgesehenen zehn Milliarden Euro, um die die Kassen 2004 entlastet werden sollen: durch eine Praxisgebühr (10 Euro je Patient und Quartal), die Erhöhung der Zuzahlungen und die Ausgliederung einzelner Leistungen aus der paritätischen Finanzierung. Die Folge wäre eine starke Privatisierung von Krankheitskosten, die überdies kräftig anziehen würden.

Von der Reform würden vor allem die Arbeitgeber entlastet werden, da der GKV-Beitragssatz bis 2006 auf 13 Prozent sinken soll. Dies ist auch die Absicht der Reform. Ob dadurch jedoch Wachstumsimpulse und neue Arbeitsplätze entstehen könnten, ist durchaus umstritten. Im EU-Vergleich hat nämlich Deutschland keineswegs eine hohe, sondern lediglich eine durchschnittliche Steuer- und Abgabenquote. Andere europäische Wohlfahrtsstaaten haben sogar bei höherer oder vergleichbar hoher Steuer- und Abgabenlast eine geringere Arbeitslosenquote.

Auch das Vertragsmonopol der Kassenärztlichen Vereinigungen für die ambulante Versorgung soll nicht beseitigt werden. Deren Verhandlungsmacht verhinderte aber immer wieder, innovative Versorgungsformen zu schaffen und die Standesinteressen der Ärzteschaft gegen Modernisierungsbestrebungen zu brechen. Fazit von Gerlinger: "Insgesamt werden Ärzte, pharmazeutische Industrie und Apotheken nur in geringem Umfang zur finanziellen Entlastung der GKV herangezogen."

Ein Blick auf die Schweizer Gesundheitsreform von 1996, die Thomas Gerlinger ebenfalls analysierte, zeigt, dass dort die hohen Ausgabensteigerungen nicht gebremst wurden. Auch die Bilanz innovativer Versorgungsformen ist eher ernüchternd; eine Qualitätssteigerung bei der Behandlung von Patienten hat kaum stattgefunden. Und die Gesundheitsausgaben der Schweiz sind - im Jahre 2000 - die zweithöchsten der Welt: 10,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts; nur die U.S.-amerikanischen sind höher (13,7 Prozent). Deutschland nimmt mit 10,4 Prozent den dritten Platz ein. Eine Politik der Kostendämpfung, die auf finanzielle Anreize auf der Nachfrageseite setzt, führt also allenfalls zu Kostenverlagerungen, nicht aber zu einer Begrenzung der Ausgaben, so Thomas Gerlingers Resümee aus den Schweizer Erfahrungen.

In Deutschland beruht das Finanzproblem der Gesetzlichen Krankenversicherung vor allem darauf, dass wegen hoher Arbeitslosigkeit und des seit Jahren nur schwachen Anstiegs der Einkommen aus abhängiger Beschäftigung zu geringe Einnahmen erzielt werden. Der GKV-Beitragssatz würde heute nämlich statt 14,4 nur 11,6 Prozent betragen, hätten sich seit 1980 in den alten Bundesländern die beitragspflichtigen Löhne und Gehälter synchron zum Bruttoinlandsprodukt entwickelt.

Weitere Informationen finden Sie im WWW: http://skylla.wz-berlin.de/pdf/2003/i03-301.pdf.

Quellen

  • Thomas Gerlinger, "Besserung in Sicht? - Anmerkungen zur Gesundheitsreform 2003", in: WZB-Mitteilungen, Heft 101, September 2003, S. 7-11.
  • Thomas Gerlinger, "Das Schweizer Modell der Krankenversicherung - Zu den Auswirkungen der Reform von 1996", 45 S. (WZB-Bestellnummer SP I 2003-301).

zuletzt bearbeitet: 22.09.2003 nach oben

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