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Jeder Patient hat sein eigenes Risikoprofil

Heidelberger Herzchirurgie betreibt schon seit 15 Jahren Qualitätssicherung

Daten bei über 25.000 Patienten erhoben - Therapiestrategien korrigiert

Die Daten werden während der laufenden Operation in den Computer eingegeben Welches Risiko hat eine Frau, die sich einer Bypass-Operation unterzieht? Wie stehen die Chancen für einen älteren Patienten mit zusätzlichen Erkrankungen, z. B. Diabetes oder chronischer Bronchitis? Patientenstudien liefern statistische Anhaltspunkte für individuelle Risiken und Behandlungsergebnisse; die Ärzte schöpfen zudem aus ihren klinischen Erfahrungen.

In der Abteilung Herzchirurgie der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg stützen sich die Ärzte auf ein umfangreiches, wissenschaftlich ausgewertetes Datenmaterial: Für jeden Patienten, der zur Herzoperation eingewiesen wird, wird ein maßgeschneidertes Risikoprofil erstellt, das Grundlage seiner individuellen Behandlung ist.

"Seit 1988 haben wir bei jedem unserer mehr als 25.000 Eingriffe umfangreiche Daten erhoben", berichtet Prof. Dr. Siegfried Hagl, Ärztlicher Direktor der Abteilung Herzchirurgie. Erfasst werden pro Patient ca. 1.500 Daten seiner Erkrankung vor der Operation, der Operation selbst und aus der Nachsorge, die im Durchschnitt bis zu sieben Jahre nach dem Eingriff überblickt.

Behandlungsqualität gesichert und verbessert / Automatische Arztbriefe

"Dies dient der Sicherung und Verbesserung der Behandlungsqualität und erleichtert gleichzeitig den Klinikalltag," erklärt Dr. Brigitte Osswald, ärztliche Mitarbeiterin in der Abteilung Herzchirurgie. Denn medizinische und administrative Daten, die einmal erhoben und mit einer speziellen Software im Computer gespeichert wurden, finden automatisch vielfältige Verwendung: im Bericht über die Operation, dem Brief bei der Entlassung des Patienten, in der Codierung für die Abrechnung mit den Krankenkassen. Das spart Zeit und Personal.

Qualitätssicherung wird heute für die gesamte Krankenversorgung gefordert, ist in bestimmten Bereichen gesetzlich vorgeschrieben und wird zum Teil schon praktiziert. In der Herzchirurgie hat die Qualitätssicherung bereits Tradition. Anfang der neunziger Jahre waren sich die deutschen Herzchirurgen einig, dass eine zentrale Sammlung und Auswertung wichtiger Daten erforderlich ist, um dauerhaft und flächendeckend hohe Qualitätsstandards anbieten zu können. Mittlerweile übermitteln rund 80 herzchirurgische Zentren ausgewählte Daten zu sämtlichen Eingriffen, bei denen eine Herz-Lungen-Maschine zum Einsatz kommt, an die 1991 eingerichtete Projektstelle "Qualitätssicherung in der Herzchirurgie", seit 2000 an die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH in Düsseldorf.

Was in Heidelberg modellhaft seit 15 Jahren praktiziert wird, geht jedoch weit über das grobe Raster der bundesweiten Qualitätssicherung hinaus. "1992 haben wir den Heidelberger Verein für multizentrische Datenanalyse gegründet", berichtet Prof. Hagl. Ihm gehören insgesamt elf herzchirurgische Zentren in Deutschland an; damit konnte eine größere Datenbasis geschaffen werden, die noch genauere und vergleichende Analysen zulässt. Das Spektrum der erfassten Erkrankungen und Eingriffe ist breit: Von der Bypass- oder Herzklappenoperation bis zur Korrektur angeborener Herzfehler bei Neugeborenen, z. B. Defekte in der Herzscheidewand, Herztransplantationen sowie Operationen von Aussackungen der Aorta und andere. "Entscheidend ist, dass unsere Daten immer wieder in konkrete Therapieentscheidungen umgesetzt werden", sagt Prof. Hagl. Denn Abweichungen von den erwarteten Behandlungsergebnissen werden rückgemeldet und von den Ärzten umgehend diskutiert.

Wenn ein Problem auftaucht, wird es mit Hilfe des Datenmaterials "eingekreist" und analysiert. So wurde 1987 beobachtet, dass mehr als 20 Prozent der Patienten nach der Operation an einem "Psychosyndrom" litten, das ihren Krankenhausaufenthalt wesentlich verlängerte. Eine wissenschaftliche Publikation englischer Ärzte wies auf einen Zusammenhang mit einer bestimmten Technik bei der Anwendung der Herz-Lungen-Maschine hin. Daraufhin ließen sich Heidelberger Ärzte und Kardiotechniker in einer Londoner Klinik in die neue Perfusionstechnik einweisen. Mit Hilfe der Qualitätssicherungs-Daten, dem Vergleich mit Patienten mit ähnlichen Risikoprofilen, konnten die Heidelberger Ärzte nachweisen, dass die Patienten nicht nur enorm profitierten - die Psychosyndrome gingen auf unter fünf Prozent zurück - sondern auch keinem anderen gravierenden Risiko ausgesetzt waren.

Warum sind Bypass-OPs bei Frauen weniger erfolgreich als bei Männern?

Ein weiteres Ergebnis aus der Qualitätssicherung: Bypass-Operationen sind bei Frauen im Durchschnitt nur halb so erfolgreich wie bei Männern. Dies liegt nicht an besonderen technischen Anforderungen, etwa aufgrund von kleineren Blutgefässen, wie die Heidelberger Wissenschaftler fanden. Die Gründe sind vielmehr die bereits fortgeschrittene Erkrankung der Herzkranzgefässe und die größere Zahl von Zusatzerkrankungen, an denen viele Frauen leiden, z. B. Diabetes, Bluthochdruck und hohe Blutfettwerte. Ein erster Ansatz, die Prognose zu verbessern, ist deshalb die konsequente Vorbehandlung zusätzlicher Erkrankungen.

Bildunterschrift: Die Daten werden während der laufenden Operation in den Computer eingegeben
Bildquelle: Chirurgische Universitätsklinik Heidelberg

zuletzt bearbeitet: 02.06.2003 nach oben

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